BYOD: Sinnvoller Einsatz von digitalen Geräten im Unterricht
BYOD steht für «bring your own device» und meint, dass Mittelschüler*innen ihr eigenes digitales Gerät im Unterricht nutzen. Dass das Veränderungen und Herausforderungen mit sich bringt, überrascht kaum. Viel wichtiger ist aber auch im digitalen Zusammenhang die Frage nach dem Sinn.
11. November 2020
Seit einigen Jahren geistert eine merkwürdige Abkürzung durch die Zürcher Mittelschulen: «BYOD». Sie steht für «bring your own device» und meint, dass jemand sein oder ihr eigenes elektronisches Gerät mitbringt. Im Kontext der Mittelschulen sind damit konkret Schüler*innen gemeint, die ein Tablet oder einen Laptop im Unterricht nutzen.
Die Digitalisierung ist ein Thema, das die Mittelschulen sehr beschäftigt. Nicht nur als «Nebenwirkung» der Corona-Pandemie und dem damit einhergehenden Digitalunterricht, sondern auch, weil ICT- und Medienkompetenzen einen immer grösseren Stellenwert im Fächerkanon einnehmen und einnehmen werden.
Doch was ist dieses «BYOD» genau? Starren nun alle Mittelschüler*innen während der Lektionen in den Computer? Sind sie dadurch nicht dauernd abgelenkt? Und: Was bringt das überhaupt?
Die Frage nach dem Sinn: BYOD muss gezielt eingesetzt werden
Birgit Reinhardt unterrichtet Englisch an der Kantonsschule Hottingen. Seit den Sommerferien bringen ihre Erstklässler*innen den Laptop mit ins Schulzimmer. Auch wenn BYOD noch nicht an allen Mittelschulen eingeführt ist, Thema sei es an vielen Schulen schon länger, erzählt Reinhardt und ergänzt: «Ich finde es allerdings auch gut, die Einführung nicht zu überstürzen. Wir müssen ja auch wissen, was wir mit den Geräten anfangen, wenn sich die Schüler*innen diese anschaffen.»
Ich finde gerade heraus, wann und wie es für mich Sinn macht.
Sie muss sich noch daran gewöhnen, im Unterricht den Computer gemeinsam mit den Schüler*innen zu nutzen. «Ich finde gerade heraus, wann und wie es für mich Sinn macht», fasst sie ihre ersten Erfahrungen zusammen. Es sei aber klar, dass eine solche Veränderung Zeit brauche und sich alle erst eingewöhnen müssten.
In den Augen von Katarina Gromova, Physiklehrerin an der Kantonsschule Zürcher Oberland, stellt Birgit Reinhardt die richtige Frage. Man müsse immer überlegen, in welchem Lernsetting BYOD sinnvoll sei, wo die Technik einem helfe. Eine Sicht, die sich auch auf den Schulwebsites findet. Die Kantonsschule Uetikon am See etwa weist explizit darauf hin, dass «die IT nicht um der IT willen eingesetzt werden solle.»
Kollaboration statt einsamer Blick ins Viereck
Die Einsatzmöglichkeiten von Laptop und Tablet im Unterricht sind vielseitig. Birgit Reinhardt und Katarina Gromova erzählen, dass sie die Lerninhalte mit Audiodateien und Videos ergänzen und die Schüler*innen über Links direkt auf weitergehende Informationen zugreifen können. Beide arbeiten mit Microsoft OneNote, einer Art digitalem Notizbuch.
Gromova hat dieses so strukturiert, dass die Schüler*innen sehen, was sie in den nächsten Lektionen erwartet. So haben sie einen ganzheitlichen Blick auf die Lerninhalte, sehen den roten Faden. «Ich habe aufgehört zu verheimlichen, was wir in der Stunde machen», schmunzelt sie. Die Schüler*innen sehen, wann die Lehrperson mit ihnen gemeinsam arbeiten wird und wann sie sich selbstständig mit einem Thema auseinandersetzen werden. Die Jugendlichen werden unabhängiger von der Lehrperson und lernen selbstbestimmter.
Möglich sind auch Gruppenarbeiten, in welchen mehrere Personen gleichzeitig an einem Dokument arbeiten. Die Jugendlichen in Gromovas Klasse etwa schreiben gemeinsam eine Zusammenfassung, jede Gruppe arbeitet an einem Teil. So sehen die Schüler*innen, dass sie Verantwortung haben, dass sie ein Teil des Ganzen sind.
Natürlich können die Schüler*innen mit dem Computer etwas anderes machen, auf Facebook oder Zalando sein.
Und was ist mit der Ablenkung? Sie wisse nicht immer genau, was die Schüler*innen tun, wenn sie sich dem Gerät zuwenden, ist sich Birgit Reinhardt bewusst. Gerade jetzt, wo sich die Lehrpersonen aufgrund der Schutzmassnahmen gegen die Corona-Pandemie weniger im Raum bewegen, sehen sie nicht immer auf die Bildschirme. «Natürlich können die Schüler*innen mit dem Computer etwas anderes machen, auf Facebook oder Zalando sein», sagt auch Katarina Gromova, relativiert aber: «Dass sie abgelenkt sind, passiert aber genauso ohne Computer. Manchmal frage ich, womit er oder sie sich beschäftigt. Und tatsächlich kommt es durchaus vor, dass sie etwas zum Thema nachschauen.»
Geschrieben wird immer noch von Hand
Ein wichtiges Instrument im Unterricht ist der Stift, mit dem direkt auf den Geräten beziehungsweise in den digitalen Arbeitsblättern geschrieben wird. Die Schüler*innen tippen wenig auf der Tastatur, dem Schreiben wird nach wie vor eine grosse Bedeutung beigemessen. «In einer digitalen Lernumgebung ist das Schreiben von Texten und Ausfüllen von Arbeitsblättern mit dem Stift viel leichter. Generell ist das Arbeiten mit Stift schneller und besonders in naturwissenschaftlichen Fächern unabdingbar (z. B. Skizzen, Reaktionsgleichungen, Formeln)», heisst es dazu auf der Website der Kantonsschule Uster.
Ich habe gemerkt, dass es mit den digitalen Geräten nicht funktioniert, wenn ich einfach vorne erzähle und die Schüler*innen mitschreiben.
Man darf sich das aber nicht so vorstellen, dass nun einfach das Gleiche gemacht wird wie früher und das digitale Arbeitsblatt jenes aus Papier eins zu eins ersetzt. Der Einsatz von IT erweitere die didaktischen Möglichkeiten, schreibt die Kantonsschule Uetikon am See auf ihrer Website. Eine Erfahrung, die auch Katarina Gromova gemacht hat. «Ich habe gemerkt, dass es mit den digitalen Geräten nicht funktioniert, wenn ich einfach vorne erzähle und die Schüler*innen mitschreiben», erinnert sie sich.
Sie fing an, mit einem Fachkollegen Lernvideos zu machen und die Theorieinputs in fünfminütige Filme zu packen. Für Schüler*innen hat es den Vorteil, dass sie die Theorie im eigenen Tempo erarbeiten können, was sehr geschätzt wird und auch so viel Mal hören können, wie sie es brauchen. Aber auch für die Lehrperson hat diese Arbeitsweise den Vorteil, dass sie mehr Zeit für persönliche Hilfestellungen und Gespräche hat.
Digitale Geräte verändern den Unterricht
«Man kann Wissen mit dem Computer nicht besser vermitteln», gibt Katarina Gromova zu bedenken. «Aber die Schule hat heute eine andere Aufgabe, die man auf klassische Art gar nicht bewältigen kann.» Die Lehrpersonen müssen nicht mehr allwissend sein, sondern die Jugendlichen in erster Linie begleiten, sie befähigen, Fragen selber zu beantworten. Das Wissen ist ja im Internet abrufbar.
Als Beispiel erzählt Gromova die Geschichte einer Kollegin: Eine Schülerin fragte die Englischlehrerin, warum man das «I» im Englischen gross schreibt. «Ich weiss es nicht», sagte die Lehrerin, «aber finde es doch heraus und erzähle es uns dann.»
Es ist auch vom Charakter einer Lehrperson abhängig; davon, ob jemand affin ist für das Digitale und Lust hat, in das Thema einzutauchen.
Nicht alle Lehrpersonen seien begeistert von BYOD, sagen Birgit Reinhardt und Katarina Gromova. «Es ist auch vom Charakter einer Lehrperson abhängig; davon, ob jemand affin ist für das Digitale und Lust hat, in das Thema einzutauchen», gibt Englischlehrerin Reinhardt zu bedenken. Und auch das Unterrichtsfach spiele eine Rolle. Sie selber sei noch unschlüssig, wie sie die neue Unterrichtsform finde.
Gromova ergänzt: «Es kann eine Zusatzbelastung sein für Lehrpersonen, die nicht digital-affin sind. Und es bedeutet natürlich, dass man die eigene Rolle hinterfragen muss, die Art wie man unterrichtet.» Will man den klassischen Unterricht einfach auf Computer übertragen, dann wird es schwierig. Gleichzeitig gäbe es auch Schüler*innen, die es besser fänden, würde die Lehrperson erzählen und sie würden Notizen machen.
Wer Unterstützung braucht, erhält diese – es werden von den Schulen Weiterbildungen und Kurse für Lehrpersonen angeboten. Oft gehe es dort um die Technik und allgemeine Tipps, erzählt Birgit Reinhardt und fügt hinzu: «Um die spezifischen Herausforderungen des eigenen Fachs zu bewältigen, braucht es von den Lehrpersonen Eigeninitiative.» Die einzelnen Schulen formulieren Vorgaben und Empfehlungen für die Geräte, die Software wird zur Verfügung gestellt. Kann sich eine Schüler*in den Computer nicht leisten, wird er oder sie finanziell unterstützt.
BYOD ist die Zukunft – die Mittelschulen sind auf dem Weg dahin
Es gibt keine allgemeine, schulübergreifende Regelung zur Nutzung von digitalen Geräten im Unterricht. Entsprechend stehen die einzelnen Mittelschulen im Kanton an unterschiedlichen Punkten, was die Einführung von BYOD anbelangt.
Katarina Gromova arbeitet neben ihrer Lehrtätigkeit beim Digital Learning Hub. Dadurch hat sie Einblick in verschiedene Schulen. Sie erzählt, dass das Thema BYOD momentan rund 20 der staatlichen Mittelschulen beschäftige. Sei es, weil sie es bereits flächendeckend eingeführt haben, sich in einer Pilotphase befinden oder den Start gerade aufgleisen.
An der Kantonsschule Zürcher Oberland beispielsweise arbeiten die Schüler*innen des Kurzzeitgymnasiums seit 2016 mit Laptop oder Tablet im Unterricht. Weitere Beispiele: An den Kantonsschulen Uetikon am See und in Uster sind die Geräte der Schüler*innen bereits im Einsatz. In Hottingen, wo Birgit Reinhardt unterrichtet, wurde dieses Semester mit BYOD gestartet. Hier sind es die ersten Klassen des Kurzzeitgymnasiums, der HMS und der IMS, die ihre eigenen Geräte in die Schulstunde mitbringen. Die Schüler*innen der oberen Klassen arbeiten aktuell noch nicht mit BYOD.
Mittelfristig wird BYOD an allen Mittelschulen im Kanton eingeführt. Das wird Veränderungen auslösen, Unsicherheiten und neue Herausforderungen mit sich bringen. Doch es führt kein Weg daran vorbei: Die Digitalisierung durchdringt alle Lebensbereiche und die Schulen sind ein Abbild der Gesellschaft. Es ist ihnen ein Anliegen, dass die Jugendlichen einen zeitgemässen und sensiblen Umgang mit Hard- und Software erlernen.