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Feinkost für Geist und Seele

Mitte März fand in Bern das nationale Finale der Schweizer Philosophie-Olympiade statt. Mit dabei waren auch zwei Zürcher Maturanden. Ihre Mission: Diskutieren, Essays schreiben, Medaillen gewinnen. Und siehe da: Beide gewannen Bronze.

25. März 2022

Die Philosophie-Olympiade ist ein Wettbewerb für Schülerinnen und Schüler, die sich für Philosophie und kritisches Denken interessieren. Teilnahmeberechtigt sind alle jungen Menschen, die eine Schweizer Mittelschule besuchen. Dabei ist es keineswegs notwendig, dass man Platon, Nietzsche oder Aristoteles gelesen hat oder mit Lehren von Heidegger, Kierkegaard oder Wittgenstein vertraut ist: Ein Interesse an Philosophie genügt.

Philosophie für Anfänger

Philosophie beginnt bereits bei der Frage, wer überhaupt ein*e Philosoph*in ist. Ein Freund der Weisheit, wie schon die alten Griechen sagten? Eine Gelehrte, die einen Lehrstuhl an einer renommierten Universität innehat? Oder ganz einfach ein Mensch, der danach strebt, Antworten auf grundlegende Sinnfragen über die Welt, über den Menschen und dessen Verhältnis zu seiner Umwelt zu finden?

Die Meinungen dazu gingen schon immer auseinander. Arthur Schopenhauer beispielsweise unterschied klar zwischen der Philosophie als praktischer Denkleistung und der Theorie, die darum herum aufgebaut wird. Für die Universitätsphilosophie fand er nur wenig schmeichelhafte Worte: «Wenige Philosophen sind Professoren der Philosophie gewesen, und noch weniger Professoren der Philosophie Philosophen. In der Tat steht dem Selbstdenker diese Bestellung zum Universitätsprofessor mehr im Wege als jede andere.» 

Ganz egal, wer dazu welche Position vertritt: Allein die Diskussion darüber zieht uns hinein in eine Gedankenwelt, die sich kritisch mit der menschlichen Wahrnehmung der Wirklichkeit auseinandersetzt und versucht, die menschliche Existenz, das Leben und die Welt besser zu verstehen. Wir begegnen dem weltfremden Gelehrten, der in seinem Elfenbeinturm sitzt und nach Antworten auf Fragen sucht, die niemand je gestellt hat. Und wir lernen Nicolas Hatt und Dominik Steiger kennen, die einen langen Weg gegangen sind, um an der Philosophie-Olympiade aufs Podest zu kommen.

Nicolas Hatt und die Kraft der Tiefe

Was die Jung-Philosoph*innen im Final vorgesetzt bekamen, war schwer verdauliche Kost – aber genau dies machte den besonderen Reiz aus. Vier Themen standen zur Wahl, eines anspruchsvoller als das andere. Nicolas entschied sich für ein Zitat des schottisch-amerikanischen Philosophen Alasdair MacIntyre, der die Auffassung vertritt, dass die Aufklärung im Sinne einer rationalen Grundlegung moralischen Handelns gescheitert ist. Sich darüber vier Stunden lang Gedanken zu machen und diese dann auch noch zu Papier zu bringen, ist wahrlich ein harter Brocken. Aber Nicolas Hatt liebt diese Art von Herausforderung. «Philosophie hat mich schon immer interessiert», sagt er, «und wissen Sie was? Ich weiss gar nicht so recht, woher das kommt.» Gut so. Einer spielt fürs Leben gern Fussball, eine andere streift hoch zu Ross durch den Wald, viele weitere chillen und hängen herum, und dann gibt es solche, die einen ganz anderen Plan haben. Beispielsweise Nicolas.

 

Wenn Moralphilosophen das Wort ‹Intuition› einführen, ist es immer ein Signal, dass etwas mit dem Argument grob schiefgelaufen ist. Alasdair MacIntyre

«Das Denken hat mir immer Freude bereitet», sagt er, «genauso wie das Schreiben.» Eine Kombination, die ihn weit gebracht hat und in Sphären vorstossen liess, die der Laie nur vom Hörensagen kennt. «Ich finde es faszinierend, mich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen. Ich will unter die Oberfläche schauen und ein Verständnis für den tieferen Sinn der Dinge entwickeln. Ganz egal, womit ich mich auch immer beschäftige: Für mich liegt die Kraft in der Tiefe.»

Freundschaften mit Gleichgesinnten bekräftigen Nicolas auf seinem Weg. «Gespräche mit spannenden Menschen inspirieren mich und geben mir wertvolle Impulse. Für mich sind sie so etwas wie das Salz in der Suppe.» Fündig wird Nicolas nicht nur an der KZO, wo er zur Schule geht und im Sommer die Matur macht. Er ist schweizweit auch ziemlich gut vernetzt in den Bereichen Umweltschutz und Naturwissenschaften und sucht in seiner Freizeit immer wieder den Austausch mit Freunden und interessanten Begegnungen.

Die Welt besser verstehen

Und dann ist da noch die Biologie, eine weitere Leidenschaft von Nicolas. Auch in diesem Fach nimmt er an der Olympiade teil. Wie geht das zusammen? «Auf den ersten Blick haben Philosophie und Biologie tatsächlich wenig miteinander zu tun. Aber genau darin liegt für mich der Reiz. Zweifellos tragen beide Fächer zu einem besseren Verständnis der Welt bei und erfordern ein hohes Mass an analytischem Denken. Besonders viel Spass macht das im Austausch mit anderen Menschen, die mich durch neue Denkweisen inspirieren.»

Inspiriert hat Nicolas auch das Final-Wochenende. «Das waren drei tolle Tage. Spannende Leute, interessante Themen, cooles Programm. Es gab Workshops über Widersprüche und moralische Pflichten. Wir erhielten Schreibtipps und besprachen die Texte, mit denen wir uns im Halbfinale qualifiziert hatten. Ausserdem konnten wir Bern näher kennenlernen. Mir gefallen das Flair und die Ausstrahlung der Stadt sehr.»

Am Samstag hatten die Teilnehmer*innen dann vier Stunden Zeit, um den entscheidenden Essay zu schreiben. Gefragt waren sowohl eine überzeugende Argumentation wie auch Originalität und philosophisches Verständnis. Nicolas scheint geliefert zu haben. Die Bronzemedaille war der verdiente Lohn – «ich freue mich riesig!»

Dominik Steiger und der Blick zurück

Dominik Steiger besucht die KME und sagt von sich, er sei eigentlich gar kein Gymischüler, sondern ein Quereinsteiger. «Ich habe eine vierjährige Lehre als Metallbauer gemacht, aber bald gemerkt, dass mich das nicht ganz befriedigt. Da ich zu jener Zeit einige Menschen mit psychischen Problemen kannte, begann ich mich dafür zu interessieren, wie es dazu kommt und warum die einen mit einer inneren Zerrissenheit zu kämpfen haben und andere nicht. So habe ich mich intensiv mit der Psychoanalyse befasst und bin auf diesem Weg zur Philosophie gekommen. Ich wollte wissen: Wie tickt der Mensch eigentlich? Eine Frage, die Psychologie und Philosophie zusammenbringt.»

 

Wissenschaft als Ritual dispensiert vom Denken und von der Freiheit. Theodor Adorno                              

Warum verhält sich ein Mensch so, wie er sich verhält? Man muss tief graben, um den Antworten auf die Spur zu kommen. «Ich habe sehr viel mit meinen Freunden gesprochen», sagt Dominik, «weil ich ein Verständnis für sie und ihre Situation entwickeln wollte. Daraus ist der Wunsch entstanden, die Psychoanalyse später einmal zum Beruf zu machen. Das fände ich super interessant, weil Psychoanalytiker ja auch Geistes- und Sozialwissenschaftler sind.»

War Freud also auch ein Philosoph? «Auf jeden Fall. Seine Erkenntnisse waren für viele Fragen der Philosophie prägend, obwohl er ursprünglich Neurologe war. Ich stand Freud anfänglich eher skeptisch gegenüber und interessierte mich mehr für romantische Weltbilder, habe dann aber gemerkt, dass triebgesteuerte, widersprüchliche und unbewusste Prozesse den Menschen weit mehr prägen als die idealisierten, schönen Seiten des Lebens. Das hat mich zu Freud zurückgebracht.»

Für Dominik setzt Verständnis Vergangenheit voraus. «In der Philosophie geht es oft um Fragen wie: Was ist richtiges Handeln? Was ist Wahrheit? Was Gerechtigkeit? Dazu gibt es viele Meinungen, sowohl gut als auch schlecht begründete. Ich schaue aber nicht gerne nach vorne und überlege mir, wie wir die Zukunft gestalten sollten. Mir geht es mehr darum, in die Vergangenheit zu schauen und die Gegenwart zu begründen. Nur so kann ich verstehen, wie sich der Mensch und seine Moral entwickelt. Schon Nietzsche hat nicht gefragt, was ist gut; vielmehr beschäftigte ihn die Frage: Was bringt den Menschen dazu, etwas gut zu finden?»

Vom Wert, wertfrei zu denken

Es ist eine funktionelle, wertfreie Sicht, die Dominik antreibt. Er hört sich alle Argumente an und versucht zu verstehen, warum ein anderer Mensch welche Argumente vorbringt. «Ich habe mich oft gefragt: Warum lehne ich etwas ab? Aus gesellschaftlichen Gründen oder aufgrund einer moralischen Prägung? Davon habe ich mich gelöst und versuche nun, rational zu urteilen. Wenn ich heute eine Position vertrete, habe ich sie wohl überlegt und bin überzeugt von ihr – ungeachtet parteipolitischer Meinung oder religiöser Zwänge. Als Politiker wäre ich sicher ungeeignet und würde schnell ausbrennen. Viel näher ist mir da schon das akademische Milieu.»

Dort sieht Dominik auch seine Zukunft. Lange dachte er daran, Ethnologie und Religionswissenschaften zu studieren, merkte dann aber, dass es ohne Philosophie nicht geht. «Die Vorstellung, rein empirisch zu arbeiten, hat mich nicht gereizt. Ich brauche die geistige Auseinandersetzung, die ich in der Philosophie voll ausleben kann.» Und in der Psychologie. Und später vielleicht auch in der Psychoanalyse mit eigener Praxis. Dr. Steiger, übernehmen Sie.

Reif für die Olympiade?

Die Wissenschafts-Olympiade fördert Jugendliche, weckt wissenschaftliche Begabungen und Kreativität und beweist: Wissenschaft ist spannend. Zehn Olympiaden finden jedes Jahr statt: Workshops, Lager, Prüfungen sowie Wettbewerbe für über 4000 Talente in Biologie, Chemie, Geografie, Informatik, Linguistik, Mathematik, Philosophie, Physik, Robotik und Wirtschaft. Die Organisator*innen sind junge Forschende, Studierende oder Lehrpersonen, die freiwillig viele Stunden und Herzblut in das nationale Programm investieren.

Der Verein SwissPhilO​​​​​​​ ​​​​​​​organisiert die Schweizer Philosophie-Olympiade seit 2006. Sein Zweck ist es, die Teilnahme der Schweiz an der Internationalen Philosophie-Olympiade (IPO) und ähnlichen Wettbewerben zu ermöglichen. Aus diesem Grund organisiert er die Schweizer Philosophie-Olympiade (SPO) und führt sie durch. Die Regeln der SPO entsprechen denen der IPO.