Konsequent vernetzt in der digitalen Welt
DLH – eine Kombination, wie zufällig herausgefischt aus der Buchstabensuppe. Dabei ist nichts daran zufällig. DLH steht für Digital Learning Hub Sek II. Der DLH vernetzt rund 6000 Lehrpersonen miteinander und treibt den digitalen Wandel an den Schulen konsequent voran.
10. März 2021
Digitalisierung ist das Gebot der Stunde. Seit längerem halten neue Lehrmethoden in den Schulen Einzug, die heute aus dem Unterricht nicht mehr wegzudenken sind. Der Trend hin zu neuen Formen des digitalen Lehrens und Lernens hat die Schulen verändert – Grund genug, die gesammelten Erfahrungen zu teilen und innovative Projekte allen Lehrpersonen zugänglich zu machen.
Austausch und Inspiration
Der DLH ist Teil der Strategie «Digitaler Wandel an kantonalen Schulen der Sekundarstufe II» und startete am 1. Oktober 2019. Sein Ziel ist es, digital affine Lehrpersonen über die Grenzen der einzelnen Berufsfachschulen und Mittelschulen hinaus zusammenzubringen und miteinander zu vernetzen. Angesiedelt im physischen Raum ist der DLH am Bildungszentrum für Erwachsene (BIZE) im Zürcher Seefeld. Zusätzlich betreibt er einen digitalen Raum mit vielfältigen Angeboten für die individuelle Kompetenzerweiterung sowie einen sozialen Raum für den Meinungsaustausch im Sinne einer Community of Practice. «Die Erfahrungen, die wir seit Projektbeginn gemacht haben, zeigen deutlich, dass gerade der soziale Raum eine wichtige Aufgabe erfüllt», sagt André Dinter, Leiter des DLH Mittelschulen. «Hier können sich interessierte Lehrpersonen über die Schulgrenzen hinaus vernetzen – einfach und ohne grossen Aufwand.»
Die Vernetzung der Lehrpersonen fördert der DLH mit Workshops, Erfahrungsaustauschen und Vernetzungsevents. Ein weiteres zentrales Anliegen ist aber auch die Förderung innovativer Projekte von Lehrpersonen, die ihre eigenen Ideen in den Unterricht integrieren. Zu diesem Zweck hat der Regierungsrat zwei Innovationsfonds ins Leben gerufen, einen für die Mittelschulen und einen für die Berufsfachschulen, die im Juli 2019 erstmals Förderbeiträge ausgesprochen haben. Diese orientieren sich an der Projektgrösse und den erforderlichen Ressourcen und bewegen sich im Rahmen von zwei bis sechs Jahreslektionen.
Für die ersten drei Jahre hat der Regierungsrat Unterstützungsgelder in Höhe von hundert Jahreslektionen für die Mittelschulen gesprochen. In den kommenden Monaten entscheidet er über die Anschlussfinanzierung, die gewährleistet, dass der DLH die Innovationsfonds und seine zahlreichen Dienstleistungen im Herbstsemester ohne Unterbruch weiterführen kann.
Wie funktionieren die Innovationsfonds?
Die Förderung von Projekten der Mittelschulen und Berufsfachschulen unterliegt klaren Kriterien. Zum einen muss ein Projekt ein hohes Innovationspotenzial aufweisen und das Zeug dazu haben, den Unterricht sinnvoll zu ergänzen oder gar neuartig zu gestalten. Zum andern sind Faktoren wie Anwendbarkeit, Nachhaltigkeit und Diversität zu beachten.
Und dann kann es losgehen: Einreichung Projektskizze, Vorselektion und Triage, Bearbeitung und Vertiefung, Projekteingabe. Jetzt beginnt das Warten auf den Entscheid der Fachjury, die sich aus Vertreter*innen von SLK, Hochschulen, Fachdidaktik, DLH und HSGYM zusammensetzt, und wenn alles klappt, steht der Umsetzung des Projekts nichts mehr im Weg.
2019 und 2020 hat der Innovationsfonds insgesamt siebzehn Projekte aus den Mittelschulen unterstützt und gefördert. Zurzeit läuft die dritte Runde von Projektförderungen, die kurz vor dem Abschluss steht. Aber was sagt uns die graue Theorie, wo die Praxis doch viel wilder, bunter, spannender ist. Also: Hinein ins Vergnügen!
Gamification: Lesen 4.0
Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch. Wer wissen will, was drin steht, muss es lesen. Aber wie soll das gehen, wenn die Lust an der Lektüre eines 500-seitigen Schinkens gegen Null tendiert? Da käme eine Kurzgeschichte gerade recht. Oder ein knackiger Krimi, den man in einem Atemzug wegputzt. Vergleichen lässt sich das natürlich nicht. Es sei denn, man heisst Robin Fürst, unterrichtet Deutsch an der Kantonsschule Zürich Unterland und hat mit dem Projekt «Gamification» das Lesen neu erfunden.
Wer den Youtube-Video anklickt, findet sich unverhofft in einer Welt wieder, die an Gamer, Nerds und andere schräge Gestalten erinnert. Dabei handelt es sich um nichts anderes als um das Einführungsvideo in die Kunst der Gamification oder der spielerischen Art, ins Universum der Bücher einzutauchen. Und schon legt Robin Fürst los. Erzählt von seiner Passion fürs Gamen und fürs Lesen und von der Idee, beide Leidenschaften in einem umfangreichen Selbstlernprojekt zusammenzuführen.
«Wenn man Gamification hört, denkt man sofort an Videospiele und vermutet vielleicht ihren Einsatz im Unterricht», sagt Robin Fürst. «Gamification meint aber nicht das Gamen an sich, sondern ist vielmehr so etwas wie der Versuch, Videospiel-typische Elemente oder Mechanismen auf die reale Welt zu übertragen. Das Spektrum reicht von einfachen Cumulus- oder Supercard-Punkten bis hin zum umfassenden Überwachungssystem, wie es in China gerade Realität wird. Aus spieltechnischer Sicht muss man leider sagen, dass das dortige Social Credit System eine besonders gelungene Form von Gamification ist.»
Mit Überwachung hat das Projekt von Robin Fürst wenig zu tun. Der Deutschlehrer sieht seine Idee vielmehr als Anreizsystem, das die Schüler*innen dazu einlädt, aus einem vorgegebenen Bücherkatalog beliebige Werke auszuwählen und die gewählte Lektüre selbständig zu erarbeiten. Die Grundlage dafür bildet ein ausgeklügeltes Punkte- und Levelingsystem, das für alles Gelesene, Recherchierte und Niedergeschriebene sogenannte Experience Points (XPs) vergibt. Ein weiteres Spielelement sind verschiedene Bonus-Mechanismen, die beispielsweise kurz vor den Ferien oder direkt vor einer Prüfung für einen zusätzlichen Lese-Boost sorgen.
Dialogisches Lernen, neu definiert
Vor sieben Jahren hat Robin Fürst die Idee der Gamification erstmals getestet und seither immer weiter verfeinert. Geblieben ist die Struktur: Die Schüler*innen sammeln Punkte, die sie aufgrund ihrer Lektüre von zeitgenössischer Literatur und der schriftlichen Reflexion des Gelesenen erhalten. Die Verteilung der Punkte variiert von Buch zu Buch und erfolgt aufgrund von quantitativen (Anzahl Seiten, Wörter pro Seite) und qualitativen Merkmalen (Leseschwierigkeit, Interpretationsschwierigkeit).
Welche Bücher die Schüler*innen auswählen, ist ganz ihnen überlassen. Aber egal, ob sie im Lauf des Projekts drei schwierige oder fünf einfache Bücher lesen wollen: Sie sind verpflichtet, ein Lesejournal zu führen – ein wichtiges Element im dialogischen Lernprozess, da sie in jedem Fall eine Rückmeldung oder einen fördernden Kommentar erhalten.
Ein Projekt dauert in der Regel zwölf Wochen. Zwei Wochenlektionen sind jeweils für die Lektüre reserviert. Je mehr Punkte die Schüler*innen im Lauf dieser Zeit erwerben, desto höher ihre Note. Den Aufwand für eine genügende Note beziffert Robin Fürst mit rund 27,5 Stunden, wobei hier die Lesegeschwindigkeit und das Leseverständnis besonders ins Gewicht fallen.
Generative Gestaltung/Creative Coding
Die Reise geht weiter. Wir verlassen das Feld der Gamification, werfen einen Blick auf die Virtual Reality App Literaturgeschichte, machen kurz Halt beim Digitalen Leitprogramm Säuren und Basen und landen schliesslich beim Unterrichtsmodul Generative Gestaltung/ Creative Coding, das Adriana Mikolaskova (MNG Rämibühl) und Theresa Luternauer (Kantonsschule Uster) entwickelt haben. Ein faszinierendes Projekt, das sich mit programmiererisch erzeugten Bildern, Serien und Mustern in künstlerischen Arbeiten befasst und so eine Brücke schlägt zwischen Design und Programmiersprache, Bildnerischem Gestalten und Informatik.
Generative Gestaltung ist eine Art von grenzüberschreitender Transformation. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Disziplinen öffnet den Blick und führt zu neuen Denkweisen. Wo bisher die rein ästhetische Gestaltung einer Form im Mittelpunkt stand, interessieren jetzt vielmehr die Prozesse, Konzepte und Regeln, die zu dieser Form führen. Die Struktur eines Werks gewinnt an Bedeutung und Tiefe – und mit ihr die Frage der Gesetzmässigkeit und Reproduzierbarkeit.
Was Adriana Mikolaskova an ihrem Projekt besonders gefällt, ist der interdisziplinäre Ansatz. «Im Schulalltag ist es ja oft so, dass jede Lehrperson ihr eigenes Feld beackert und nur selten über dessen Grenzen hinausschaut. Wenn ich aber sehe, was Generative Gestaltung bei den Schüler*innen auslöst, staune ich immer wieder, was das Zusammenkommen verschiedener Fähigkeiten alles bewirken kann. Nehmen wir als Beispiel die Programmierung eines Baums. Ein durch und durch poetischer Prozess, der die Gruppe in einem iterativen Prozess zum Ziel führt. Der eine codiert, die andere zeichnet und studiert die Baumstruktur, und ein Dritter macht sich Gedanken, wie eine Serie von Bäumen zu einem Wald wird. Das ist Gruppendynamik pur.»
Der DLH unterstützt solche Projekte aus Überzeugung. «Gruppendynamik ist auch für uns ein gutes Stichwort. Wenn es uns gelingt, festgefahrene Strukturen aufzubrechen und neue Ideen in den Unterricht hineinzutragen, haben wir viel erreicht», sagt André Dinter. «Wir sind jedenfalls tief beeindruckt von der Vielfalt und Qualität der eingegangenen Projekte. Sie zeigen uns, dass der digitale Wandel an den Zürcher Mittelschule gelebte Realität ist.»