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Kooperatives Lernen – viel mehr als eine Gruppenarbeit

Marco Schwab ist Mathematiklehrer an der KZU und setzt in seinem Unterricht auf kooperatives Lernen. Im Interview erzählt er, wie kooperatives Lernen funktioniert, was die Vorteile sind und wofür er UNO-Karten einsetzt.

17. Juni 2024

Marco Schwab, was ist kooperatives Lernen?

Schwierige Frage (lacht). Man könnte es als Gruppenarbeit bezeichnen, tatsächlich ist es aber mehr als das. Es ist strukturierter und es liegen dem Konzept weitere Überlegungen zugrunde als einer klassischen Gruppenarbeit.

Der Begriff wird unterschiedlich verwendet, ich orientiere mich an Ludger Brüning und Tobias Saum, die das angloamerikanische Konzept des kooperativen Lernens für das deutsche Schulsystem adaptiert haben. Ihre Herangehensweise zeichnet sich durch eine sehr ausgeprägte Struktur aus, die sicherstellt, dass jede*r Schüler*in etwas beiträgt.

Es ist strukturierter und es liegen dem Konzept weitere Überlegungen zugrunde als einer klassischen Gruppenarbeit.

Ich arbeite mit der Methode «think – pair – share», die Brüning und Saum in das Konzept des kooperativen Lernens integriert haben. Es gliedert sich in drei Phasen: In der Denkphase (think) denken die Schüler*innen alleine über ein Problem nach, in der Austauschphase (pair) tauschen sie sich mit einer*m oder mehreren Kolleg*innen aus, in der Präsentationsphase (share) diskutieren wir das Problem im Klassenverband.

Es braucht also klare Prozesse und Verantwortlichkeiten?

Genau. Gerade Brüning hat das sehr weit getrieben, in meinen Augen teilweise zu weit. Aber durch die gute Strukturierung sind eigentlich immer alle Schüler*innen aktiv und es gibt nicht die Möglichkeit, einfach nichts zu tun – wie das bei der klassischen Gruppenarbeit teils der Fall ist.

Was braucht es neben der Struktur sonst noch, damit kooperatives Lernen funktionieren kann?

Es gibt verschiedene Elemente. Zum einen macht man feste Dreier- oder Vierergruppen. Mein Schulzimmer ist zum Beispiel so bestuhlt, dass immer vier Schüler*innen zusammensitzen. Diese Gruppen sind zufällig zusammengesetzt, damit sich nicht immer die gleichen Leute zusammentun.

Zudem versuche ich, in jeder Phase Verbindlichkeiten für die nächste Phase zu schaffen. Ich sage also zum Beispiel in der Pair-Phase zu den Schüler*innen: «Ihr müsst euch so gut austauschen, dass ihr sämtliche Konzepte erklären könnt.» Dann nehme ich in der Share-Phase einen Würfel und wähle zufällig Schüler*innen aus, die dann die Konzepte der ganzen Klasse erklären.

Diese Gruppen sind zufällig zusammengesetzt, damit sich nicht immer die gleichen Leute zusammentun.

Sie haben gesagt, dass die Gruppen zufällig zusammengesetzt sind. Was bedeutet das? Werden sie durch ein Los oder durch Sie gesteuert gebildet?

Ich habe gerade heute neue Sitzordnungen für zwei Klassen gemacht – dafür habe ich UNO-Karten verwendet und so die Gruppen ausgelost.  

In meinem Matheunterricht bleiben diese Gruppen nun bis zu den Sommerferien bestehen. Die Vierergruppen sollen sich besser kennenlernen, dazu starte ich zunächst einmal mit einer sozialen Aktivität. Oftmals kennen sich die Schüler gar nicht so gut, da sie bisher nicht so intensiv miteinander arbeiten mussten.

Wie sehen diese sozialen Aktivitäten aus?

Als Beispiel: Jede*r überlegt sich drei Eigenschaften von sich, darunter eine frei erfundene, und stellt diese der Gruppe vor. Die anderen müssen dann herausfinden, welche Eigenschaft erfunden ist. Man könnte aber auch mit einer mathematischen Problemstellung einsteigen. Aber ich mache das eher unabhängig vom Matheunterricht. Der Effekt ist: Die Schüler*innen kommen ins Gespräch und später fällt ihnen der Austausch leichter.

Wie sieht Ihr Unterricht heute aus – wird ausschliesslich kooperativ gelernt oder gibt es auch Einzelaufgaben?

Ich nutze kooperatives Lernen dann, wenn es für den Unterricht Sinn ergibt, also nicht immer. Es ist ja auch beim kooperativen Lernen so, dass anfangs jede*r für sich arbeitet und sein eigenes Wissen aktiviert. Dies verbessert den nachfolgenden Austausch. Das mache ich gerne, wenn ich neue Aufgaben einführe oder wenn wir schon Theorie besprochen haben und nun die Konzepte besser verstehen möchten.

Ich mache aber fast keinen reinen Frontalunterricht mehr. Es gibt meistens erst einmal eine Think-Phase. Dieses Element habe ich permanent eingeführt, ich bespreche es dann nicht zuerst mit der Klasse, sondern lasse den Schüler*innen Zeit, für sich selber nachzudenken. Das ist kein kooperatives Lernen, aber ein Element daraus, das sich in meinen Unterricht etabliert hat.

Ich mache aber fast keinen reinen Frontalunterricht mehr.

Was sind denn die Vorteile des kooperativen Lernens?

Die Schüler*innen beschäftigen sich auf mehreren Ebenen mit einem Problem und erhalten so verschiedene Zugänge. Man muss zuerst allein sein Wissen aktivieren und über ein Problem nachdenken. Dann diskutiert man auf Augenhöhe mit jemandem, der ein ähnliches Vorwissen hat. Erst danach ist man im Austausch mit der Lehrperson, jener Person, die ja Experte für das entsprechende Thema ist.

Die Schüler*innen beschäftigen sich auf mehreren Ebenen mit einem Problem und erhalten so verschiedene Zugänge

Was ich merke: Seit ich so arbeite, muss ich in der Share-Phase keine trivialen Sachen mehr besprechen. In dieser Phase ist das Wissen schon so gut aufgebaut, dass wir über die komplexen Fragen, die Sonderfälle diskutieren können.

Können sich die Schüler*innen besser austauschen im «Pair-Setting» als im grossen Klassenverband? Ist die Hemmschwelle kleiner, etwas beizutragen?

Das ist so, man traut sich unter seinesgleichen mehr. Und dann ist es auch so, dass sich alle im Plenum mehr trauen, weil sie ja durch die beiden Phasen zuvor schon Wissen haben. Sie haben sich bereits ausgetauscht und gemerkt, dass sie schon eine Ahnung haben.

Was ist denn für die Lehrpersonen der Vorteil?

Bei mir war es so, dass ich es als notwendig für meinen Unterricht empfand. Ich wollte neue Aufgabentypen einführen und realisierte: Da kommen so viele Fragen und Ideen von den Schüler*innen, dass ich diese nicht mehr alle aufnehmen konnte. Ich wollte, dass sich die Jugendlichen über ihre Ideen miteinander austauschen.

Und ich bin überzeugt: Das Wissen ist am Ende grösser durch kooperatives Lernen, durch die drei Zugänge. Die Diskussion mit der Klasse wird dadurch auch viel spannender, es kommen Fragen und Ideen, die wirklich interessant sind, die uns gemeinsam über ein Problem nachdenken lassen.

Und ich bin überzeugt: Das Wissen ist am Ende grösser durch kooperatives Lernen, durch die drei Zugänge.

In meiner Schulzeit war es nicht immer positiv konnotiert, wenn man während des Unterrichts ins Gespräch kam. Aber bei Ihnen ist es gewünscht?

Absolut. Ich mag lauteren Unterricht. Allein und ruhig arbeiten kann man zuhause, in meinem Unterricht soll geredet werden. Das ist nicht für alle Schüler*innen ideal, manche brauchen ja die Ruhe. Dann setzen die Jugendlichen auch mal die Kopfhörer auf.

Das kann schon ein Nachteil sein, dafür muss man dann Lösungen finden. Und natürlich kommen auch mal andere Gesprächsthemen auf, nicht nur Mathe. Da muss man Gegensteuer geben, z. B. die Zeit knapp bemessen. Auch dazu gibt es Tipps von Brüning und Saum.

Allein und ruhig arbeiten kann man zuhause, in meinem Unterricht soll geredet werden.

Was müssen Lehrpersonen wissen, die kooperatives Lernen in ihrem Unterricht nutzen wollen?

Viele Fächer nutzen bereits Elemente des kooperativen Lernens, insbesondere in Deutsch oder Geschichte. Ich fand es speziell, dass es in Mathe so gut funktioniert, dort würde man es ja weniger vermuten. Ich denke, kooperatives Lermen ist in allen Fächern möglich.

Der Zeitaufwand ist grösser, aber das Wissen ist nachhaltiger und man übt gleichzeitig auch viele Sozialkompetenzen. Für einige Fächer mit wenigen Wochenlektionen ist die Zeit aber ein Hindernis.

Es gibt zahlreiche Weiterbildungen zum Thema. Ich selber habe das für Kolleg*innen an der KZU angeboten, als ich gemerkt habe, dass ich selber gar nicht kooperativ arbeite (schmunzelt). Ob Brüning und Saum noch Kurse anbieten, weiss ich nicht. Aber bei IQES online findet man sicher etwas.

Der Zeitaufwand ist grösser, aber das Wissen ist nachhaltiger und man übt gleichzeitig auch viele Sozialkompetenzen.

Brüning und Saum haben sich wirklich viel überlegt, teils zu viel, aber sie bieten einen optimalen Werkzeugkasten mit vielen Elementen, die man nutzen kann. Man muss dann seinen eigenen Weg finden. Ich habe die Methode teils abgeändert, bin lockerer geworden in den Strukturen, aber bediene mich bei den Ideen. Und je nach Fach muss man das natürlich anpassen.

Zur Person

Marco Schwab (43) unterrichtet seit 16 Jahren an der Kantonsschule Zürcher Unterland (KZU). 2020 besuchte er bei Ludger Brüning und Tobias Saum eine Weiterbildung zum Thema kooperatives Lernen und beschäftigt sich seitdem intensiv mit diesem Thema. Sein Wissen lässt er im eigenen Unterricht einfliessen, und gibt es in Weiterbildungen an seiner Schule an Kolleginnen und Kollegen weiter.