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Studienwoche – die U1b macht sich auf den Weg

Die ersten Wochen sind für die meisten Gymi-Schüler*innen eine Herausforderung. Soziales, Organisatorisches und Logistisches bilden häufig die grössten Hürden für Kanti-Neulinge. Gut gibt’s die Studienwochen, die an der Kantonsschule Zürcher Oberland (KZO) immer in der Woche vor den Herbstferien stattfinden. Die Mission: Aus der Klasse wird ein Team.

28. Oktober 2022

Wir kennen und lieben die KZO. Dem Ruf der Ferne folgen wir aber auch gern. Unser Studienwochenthema «Nah und fern» passt also prima. Eine Woche lang wollen wir uns zeitlich und räumlich als Klasse auf Reisen begeben und dabei immer wieder an der KZO Zwischenstopp einlegen. Unsere Basisstation ist das Klassenzimmer 25. Wir, das sind die Klasse U1b, die Deutschlehrerin Marion Brändle und die Mathematiklehrerin Melissa Dornheim. Zu entdecken gibt es viel: den Uetliberg, Jupiter, Pluto & Co. sowie Vindonissa.

Angekommen?

Wie finde ich Freund*innen? Was ist der schnellste Weg zum Biologietrakt? Wie schaffe ich es, nach dem Sportunterricht, nur zehn Minuten später, geduscht und konzentriert mit Buch, den richtigen Handouts und Stift im Unterricht zu erscheinen? Wie wird eine Klasse zu einem Team? Um solche Fragen zu thematisieren, treffen wir uns in unserer Basis, dem Klassenzimmer 25 an der KZO. Von Überlebenstipps für den Gymi-Alltag, über Koordinatensysteme bis hin zum Medusenhaupt führt uns unsere Projektarbeit in dieser Woche. Im Team, in kleinen Gruppen und manchmal auch allein reflektieren wir die bisher gemachten Erfahrungen an der Kanti, halten unsere Erkenntnisse auf Plakaten und Fotos, in Briefen an uns selber, in Checklisten und gar in Form von Comics fest.

Ziel ist es, das eigene Tun zu reflektieren, die Work-Life-Balance ins Visier zu nehmen, andere von den eigenen Erfahrungen profitieren zu lassen, als Gruppe verschiedene Aufgaben zu meistern und nicht zuletzt, den bereits nach wenigen Wochen überfüllten Spind auszumisten und den Inhalt neu zu sortieren.

Vom Teleskop, dem Sternbild Orion und den Mauerseglern (Sternwarte)

Die Fachstelle Schule+Kultur des Kantons Zürich unterstützt uns in unseren Plänen. Wir buchen das Angebot «Sternworte», ganz nach dem Motto «Wenn schon weg, dann weit!». Dafür stapfen wir tapfer am frühen Morgen die zwölf Stockwerke des Gebäudes aus der Gründerzeit zur Urania-Sternwarte hoch. Unsere Kondition lässt uns nicht im Stich. Die Aussicht auf die Stadt Zürich ist überwältigend, das eindrückliche Teleskop und die Welt der Astronomie lassen uns staunen. Schwarze Löcher, Beteigeuze, rote und weisse Zwerge, Lebenszeit der Sonne – keine unserer Fragen bleibt unbeantwortet.

Doch just im Moment, wo der Sternwart das Teleskop auf das Sternbild Orion ausrichtet, versteckt es sich hinter hartnäckigen Nebelbänken. Wir linsen trotzdem durch das imposante Teleskop aus dem Jahr 1905 und begnügen uns mit dem Beobachten der Mauersegler, die das Zifferblatt der Turmuhr im Fraumünster bewohnen. Wir würden den Sternwart gerne den ganzen Vormittag mit Fragen zum Weltall löchern und darauf hoffen, dass sich die Nebelbänke zackig verziehen. Aber wir haben einen weiteren Termin und der Sternwart wahrscheinlich auch.

Gekommen, um gemeinsam Geschichten zu schreiben (JULL)

Im JULL (Junges Literaturlabor) erwartet uns die Autorin Ulrike Ulrich. Kaum angekommen, werden wir mit Süssem und Eistee verwöhnt, bevor aus den wissenschaftlichen Informationen aus der Sternwarte fiktive Stories über ferne Planeten und entfernte Galaxien entstehen.

Wir staunen nicht schlecht, als uns die Autorin Ulrike Ulrich erzählt, dass sie ihre Romane von Hand in Cafés schreibt und danach zuhause abtippt. Schreibtipps können wir gut gebrauchen. Im gemütlichen Schreibsaal werden wir mit Stift und Papier, und später mit Kreide für die grosse Wand, ausgestattet. Aus Clustern, automatisch Geschriebenem und Wortspielereien werden bald Mini-Geschichten. Mal ernst, mal abgefahren, immer kreativ.

Ich erinnere mich an die grosse Kuppe, die man verschieben konnte und an das grosse Teleskop, das aus dem Jahr 1905 stammt.

Ich erinnere mich an einen Mann, der aussah wie Rafael Nadal und den Bugatti, la voiture noire, der kürzlich an der Bahnhofstrasse Zürich gesichtet wurde, er hat den Wert von 16 Millionen Franken, denn er ist ein Unikat.

Impressionen zweier Schüler*innen aus dem Aufwärmtraining «Ich erinnere mich …» mit Ulrike Ulrich.

Ein Highlight der zwei ersten Vormittage im JULL ist die Präsentation von ausgewählten, selbst verfassten Textpassagen, die jede*r Schüler*in mit Mikrofon auf der Bühne präsentieren darf.

«(…) Helio entwarf eine Erfindung namens Duplicator, die die Sonne duplizieren konnte. Das wäre schön und gut, aber würde die Sonne nicht ewig scheinen lassen, sondern seinen eigenen Planeten verkohlen. Aus diesen Gründen entwarf er eine JUnge VereinfachungsLiche HerabhoLung, kurz JULL. Helio schaffte mit Hilfe seiner Erfindung die Verjüngung des Sonnenkerns beziehungsweise der Sonne und rettete somit auch die Menschheit.» Aus «Der Sonnenretter» von Sil

Auf der Bühne vor Publikum performt, klingen unsere Werke noch besser als auf Papier gekritzelt. Wir dürfen bereits jetzt stolz auf unsere Arbeiten sein, die uns über die Studienwoche hinaus beschäftigen werden.

«Der Astronaut und Mann von Mrs. White starb vor zwei Jahren. Die Frau war eine heimliche Astronomin. Niemand durfte das jedoch erfahren, weil den Frauen das verboten war. Der Tod von Mr. White war ein schwerer Schicksalsschlag für seine Geliebte Nach zwei Jahren trauerte sie immer noch, aber etwas half ihr dabei, nicht den Verstand zu verlieren; eine alte Pendeluhr, die ihrem Mann sehr wichtig gewesen war, doch sie wusste nicht, aus welchem Grund. (…)» Aus «Die romantische Pendeluhr»

Nach einem zweiten intensiven Schreibmorgen überlassen wir unsere Zetteli-Geschichten der Autorin und selbsternannten Geschichtendirigentin Ulrike Ulrich. Im November geht’s dann ins Tonstudio! Wir können es kaum erwarten, unsere gemeinsam verfassten und orchestrierten «U1b-Sternworte» zu vertonen und das Klassenprodukt anzuhören.

(…) Ich bin ein Teleskop. Ihr denkt wahrscheinlich, dass ein Teleskop nicht denken und fühlen kann, aber ich kann euch versichern, dass das nicht stimmt. (…) Aus «Ich, das Teleskop» von Andrin

 

Beim Jupiter! (Planetenweg)

Wir fahren zum Uetliberg. Mit jedem Schritt die Distanz von fast einer Million Kilometer zurücklegen, wie uns die Mathematiklehrerin erklärt, klingt attraktiv. Erfreut stehen wir vor der Sonne und lauschen spannenden Fakten über unser Sonnensystem. Erste Station – check!

Wir stärken uns kurz beim Picknick und machen uns auf den Weg. Schon bald kommen wir beim Jupiter an. Aber halt! Grosses Gelächter bricht aus. Wir haben kurzerhand Merkur, Venus, Erde und Mars überwandert. So geht das, wenn man mit «Millionenkilometerstiefeln» unterwegs ist. Wir überhören den Vorschlag der Lehrperson, nochmals zurückzulaufen, um die verloren gegangenen Planeten zu besuchen, und wandern frohgemut in Eine-Million-Kilometer-Schritten Richtung Pluto & Co. Noch einmal die Aussicht geniessen und dann zwingen uns die Felsenegg-Seilbahn und die S-Bahn wieder zu gewohnten Reisegeschwindigkeiten.

Fast im Gleichschritt Richtung Ferien (Vindonissa)

Nochmals geht’s rapide. Innert Sekunden katapultiert uns die Zeitmaschine im Besucher*innenzentrum ins Jahr 68 n. Chr. Wir befinden uns im Römerlager Vindonissa. Das Lager befindet sich im Ausnahmezustand. Centurio Valerius wurde ermordet! Verdächtige gibt es nicht wenige. In kleinen Gruppen machen sich die Klassenmitglieder mit Audioabspielgeräten und Kopfhörern auf den Legionärspfad, um den Täter zu überführen und wortkräftig zu verfluchen. Rund zwei Stunden später ist das Orakel befragt, der Mörder mittels Fluchtafel bestraft, Centurio Valerio darf in die Unterwelt eintreten und die Laune der Klasse U1b ist grossartig. Im Amphitheater geniessen wir die Mittagspause und den Sonnenschein und stärken uns für den Nachmittag.

Nach dem Mittagessen erwartet uns schon Optio Lucius Aurelius. Der Stellvertreter des Centurio will uns zu römischen Legionär*innen ausbilden. Ehrlich gesagt, ganz gelingt ihm das nicht, aber wir geben uns selbstverständlich grosse Mühe, auch wenn wir ziemlich komisch mit der über die Hoodies gestülpten Tunikas und den dazu unten herauslugenden Jeans und Sneakers aussehen.

Wir erhalten einen lebendigen Einblick in den Alltag eines Legionärs aus Vindonissa und viele Hintergrundinformationen, inklusive eine grosse Portion Gossip! Mit römischer Tunika, Pilum und Schild bepackt, marschieren wir brav und im Gleichschritt Richtung Ferien. «Levum! – Levum! – Levum! …» – die U1b, ein eingespieltes Team, nur ganz selten verirrt sich ein Beinpaar.

Eine Glace vom Bahnhofskiosk und die Zugreise nach Wetzikon holen uns in die Gegenwart zurück. Wir freuen uns auf die Herbstferien und noch fast mehr auf das Wiedersehen danach. Die Studienwoche schweisst zusammen.