Zonenwechsel an der KZU: das Praktikum 2.0
Schülerinnen und Schüler der KZU tauchen in die Berufswelt ein und absolvieren ein zweiwöchiges Praktikum. Der Prozess der Stellensuche ist ebenso wichtig wie das Praktikum selbst. Hier ein Bericht über diesen Seitensprung in eine neue «Lernzone».
22. Dezember 2021
Schnittstellen sind immer heikle Orte, es sind anspruchsvolle Übergänge von einem System in ein anderes. Diese angrenzende Nähe zum Benachbarten evoziert gewisse Vorstellungen oder sogar marginale Kenntnisse über die andere Seite. Doch um die Grenze dazwischen zu passieren, braucht es Mut, Selbstvertrauen, Anpassungsfähigkeit und Neugierde. Genau dies verlangen wir an der Kantonsschule Zürcher Unterland in Bülach von unseren Schülerinnen und Schülern am Ende des 4. Schuljahres des Langgymnasiums. Sie sollen sich in ihrem 16. Lebensjahr auf eine andere Zone einlassen, eine, die sich ausserhalb der Schulmauern befindet.
Deswegen schicken wir unsere Jugendlichen vor den Sommerferien für zwei ganze Wochen in die grosse weite Welt hinaus. Wir sind überzeugt, dass wir ihnen damit eine Gelegenheit für wertvolle neue Erfahrungen bieten. Es handelt sich um Einblicke in die «Erwachsenenwelt», die wir ihnen an der Schule sonst nicht mitgeben können. Wir denken, es ist eine sinnvolle Ergänzung im Curriculum einer jeden Gymnasiastin, eines jeden Gymnasiasten. Durch dieses Praktikum soll auch die Selbstständigkeit und das Verständnis für die andere «Arbeitswelt» gefördert werden.
Arbeitseinsätze mit langer Tradition
Die Idee ist nicht neu. Mehrere Kantonsschulen im Kanton Zürich verlangen von ihren Schülerinnen und Schülern einen solchen Praktikumseinsatz. Für die einen steht das Sozialpraktikum im Vordergrund, das den Schülerinnen und Schülern den Alltag in Krankenhäusern, Kindergärten oder ähnlichen Einrichtungen zeigen soll. Andere Schulen organisieren individuelle Schüleraustausche über den «Röschtigraben» hinweg. Eine weitere Variante koppelt den Arbeitseinsatz an einen Sprachaufenthalt. Dies hat in der Schweiz schon jahrelange Tradition. Mit dem «Welschlandjahr» oder dem «Landdienst» war bereits in den 50er-Jahren der unbeirrbare Wille da, auch aus staatspolitischen Gründen das Verständnis und die Vernetzung zum französischsprachigen Teil der Eidgenossenschaft zu stärken.
Unser Pilotprojekt an der KZU dieses Jahr wollte bewusst beide Zielsetzungen aufnehmen. Die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten dürfen bereits im Herbst des Vorjahres die Sprachregion auswählen, in der sie ein Praktikum zu leisten gedenken: Deutschschweiz, Romandie oder italienische Schweiz.
Selbstständigkeit mit Unterstützung
Grundsätzlich ist jede Schülerin und jeder Schüler selbst für das Finden eines individuellen Praktikumsplatzes sowie einer Übernachtungsmöglichkeit verantwortlich, falls sie nicht weiterhin zu Hause wohnen. Daher gliedert sich dieses Praktikum in die Reihe der Lerneinheiten ein, welche an unserer Kanti in der 4. Klasse explizit für das «selbstorganisierte Lernen (soL)» geschaffen wurden.
Die Schülerinnen und Schüler sind nicht ganz allein auf sich gestellt, sie werden durch das Projektteam und vor allem durch eine ihnen zugeteilte Lehrperson (Coach) darauf vorbereitet und unterstützt. Die Schülerinnen und Schüler lernen dabei, ein massgeschneidertes Motivationsschreiben sowie einen Lebenslauf zu konzipieren.
In unserem Pilotprojekt wählten schliesslich 60 Prozent die Deutschschweiz und 40 Prozent die Romandie. Für die italienische Schweiz meldete sich leider niemand. In welchen Bereichen haben denn unsere Praktikantinnen und Praktikanten ihre Stellen gefunden? Im Allgemeinen empfahlen wir ihnen, ihren Stärken und Neigungen zu folgen. Und in Pandemie-Zeiten war es ohnehin recht schwierig, eine grosse Auswahl an Praktikumsplätzen zu fordern.
Und doch: Es waren schlussendlich nur 4 von 72 Schülerinnen und Schülern, die keine Stelle fanden, und für die wir als Projektteam in der näheren Umgebung der Kanti Plätze suchen mussten.
Die ganze Bandbreite an Berufen
Die Bereiche, in denen unsere Jugendlichen gearbeitet haben, sind sehr vielfältig. Viele zog es in die Primarschulen, in Kindergärten sowie in Kinderkrippen. Das sind Arbeitsfelder, die sie bereits aus ihrer jungen Vergangenheit gut kannten. Das gab ihnen eine gewisse Sicherheit. Andere arbeiteten im Gesundheitsbereich (Spitäler, Altersheime) und im Verkauf (Reformhaus, Secondhand-Kleiderladen, Gemischtwarenladen). Auch die Gastronomie und die Hotellerie waren gut vertreten. Einige konnten im Bereich Theater, Tanz und Film aushelfen oder lernten traditionelle Berufe in Bäckereien, Gärtnereien und im Elektrohandwerk kennen. Auch im kaufmännischen Sektor waren einige tätig. Mehrere Schülerinnen wirkten in Tierheimen und Zoos, in Bauernhöfen, in Bibliotheken und als Au Pair. Vier Schülerinnen und Schüler nutzten ihre Beziehungen zu KZU-Alumni und konnten sich in einem IT-Start-up mit Robotik beschäftigen.
Eine Erfahrung, die die Schüler*innen reifen lässt
Natürlich stellten wir uns auch immer wieder die Frage, ob wir es verantworten können, unsere Schülerinnen und Schüler zu «zwingen», sich mit der Arbeitswelt ausserhalb der KZU zu konfrontieren, indem wir sie Betrieben, Geschäften, Institutionen, Schulen und Familien überlassen. Für manche brauchte es gar grosse Überwindung.
Wir kamen aber zum Schluss, dass der persönliche «Gewinn» überwiegt. Unsere jungen Menschen mussten sich wichtige Gedanken machen zu ihrem zukünftigen Leben, ihre Interessen und Stärken ausloten, und mit Hilfe der Coaches einen Bewerbungsprozess durchlaufen. Sie lernten zu kommunizieren und die langwierige Stellensuche auszuhalten. Schlussendlich ist es nicht einfach, das gewohnte «KZU-Paradies» zu verlassen und sich in der Arbeitswelt neu orientieren und eingliedern zu müssen, sich dort einzusetzen und so gut es geht, die eigenen Fertigkeiten in den Dienst eines Betriebs zu stellen.
Wir sind als Schule nach wie vor überzeugt, dass unsere Schülerinnen und Schüler durch diese Erfahrungen ein Stück weit selbstständiger werden und dass ihre Persönlichkeit an Reife gewinnt. Sie wachsen ungemein an diesen Forderungen, die wir ihnen mit diesem Praktikum stellen, auch wenn sie nicht nur von Erfolgserlebnissen gekrönt sind, sondern sich auch Enttäuschungen, Ängste vor den neuen Aufgaben, Stressmomente im Arbeitsalltag und emotionale Belastungen beimischen. Dieser Zonenwechsel ist bestimmt eine wertvolle Ergänzung zur gut behüteten Schulstube in Bülach.