Ein neues Miteinander schaffen – Hoch- und Mittelschule teilen sich den Campus Irchel
Fünf Zürcher Kantonsschulen ziehen vorübergehend auf den Campus Irchel der Universität Zürich. Die enge Nachbarschaft von Mittelschule und Uni bringt Herausforderungen, aber auch spannende Chancen für beide Seiten. Ein Gespräch mit Ava Moll, Koordinatorin der Zwischennutzung am Irchel.
19. Februar 2025
Der Campus Irchel der Universität Zürich wird zum Mittelschulstandort – fünf Stadtzürcher Kantonsschulen werden in den nächsten Jahren gestaffelt zwei Gebäudeteile beziehen. Den Start machte im August die Kantonsschule Zürich Nord, danach folgen das MNG und RG Rämibühl und zum Schluss werden die Kantonsschulen Enge und Freudenberg einziehen. Jeweils rund drei Jahre bleiben die Schulen am Irchel, während ihre angestammten Schulgebäude saniert werden.
Diese Zwischennutzung ist einzigartig in der Bildungslandschaft Schweiz: Mittelschule und Hochschule kommen sich örtlich näher als je zuvor und haben die Chance, voneinander zu profitieren, sich zu vernetzen und gemeinsam Neues zu entwickeln.
Ava Moll, im August hat die Kantonsschule Zürich Nord den Schulbetrieb auf dem Campus Irchel aufgenommen. Das markiert den Start der Zwischennutzung «Schulen am Irchel» – fünf Kantonsschule werden nacheinander und teilweise gleichzeitig am Irchel zuhause sein, während ihre angestammten Schulgebäude saniert werden. Wie ist der Start gelungen?
Ich schaue sehr positiv auf den Start und das erste halbe Jahr! Es gab anfangs kleinere betriebliche Herausforderungen wie beispielsweise Probleme mit der Lüftung in den neuen Gebäuden, aber im Grossen und Ganzen sind wir sehr gut gestartet und die beiden Bildungsinstitutionen arbeiten gut zusammen.
Auf der individuellen Ebene kann sich das für einige jedoch anders anfühlen. Im Gebäudeteil, wo sich die beiden Trakte der KZN befinden, ist es viel lebendiger geworden und es gibt durchaus Personen, die sich daran stören. Es ist lauter, der Platz ist knapper. Das sind Veränderungen, die insbesondere jene Personen, die ihre Büros in diesem Gebäudeteil haben, spüren.
Ich schaue sehr positiv auf den Start und das erste halbe Jahr!
Für mich ist es wichtig, die verschiedenen Perspektiven zu würdigen. Das heisst, dass ich mich über den positiven Start und die tolle Zusammenarbeit freuen kann, während ich aber auch Bedenken ernst nehme und mit Beteiligten Lösungen suche.
Wurde der Einzug der KZN auch auf dem Rest des Campus registriert?
Das Projekt hat schon eine gewisse Strahlkraft durch seinen innovativen Charakter. Das gab es in der Schweiz noch nie, dass Mittelschule und Hochschule sich auf einem Areal treffen und Infrastruktur gemeinsam nutzen.
Hier auf dem Campus wird es vor allem von jenen kommentiert, die örtlich nahe sind. Je weiter weg, desto eher sagen die Leute, sie hätten kaum etwas mitbekommen vom Einzug der KZN und dem Schulbetrieb. Für viele UZH-Angehörige ist das gar nicht so zentral.
Ich würde sagen, solange die Zwischennutzung nicht negativ auffällt, ist alles in Ordnung (lacht).
Die KZN ist die erste von fünf Schulen, die am Campus Irchel ein vorübergehendes Zuhause finden werden und damit Teil eines grösseren Projekts. Wie wird es in den nächsten Jahren weitergehen mit dieser Zwischennutzung?
Das Projekt dauert mindestens neun Jahre, in den nächsten Etappen werden sich jeweils zwei Schulen die beiden Trakte am Irchel teilen. Jede Schule wird ihren eigenen Charakter mitbringen und den Campus prägen. Da bin ich sehr gespannt.
Für den Start im August 2024 mussten ein zusätzliches Sportgebäude, eine Schulmensa und ein eigener Pausenplatz gebaut werden. Das wird in den nächsten Etappen wird nicht mehr der Fall sein – die nächsten Schulen ziehen in fertige Gebäude ein.
Für die Schüler*innen der Mittelschulen ist es eine einmalige Gelegenheit, Hochschulluft zu schnuppern.
Was sind denn die Vorteile dieses Zusammenlebens der Mittelschulen und der Hochschule auf dem Campus Irchel?
Für die Schüler*innen der Mittelschulen ist es eine einmalige Gelegenheit, Hochschulluft zu schnuppern. Normalerweise weiss man an der Mittelschule ja nicht genau, was einem später an einer Hochschule erwartet. Da einen Einblick zu bekommen, ist für die Jugendlichen der beteiligten Schulen eine grosse Chance.
Besonders hervorheben möchte ich die gemeinsamen Lehr- und Lernprojekte, die wir gerade aufbauen und etablieren. In gemeinsamen Projekten wird Wissen geteilt und die Mittelschulen können dabei auch die Infrastruktur der UZH nutzen. Dieses Angebot ist vom Kanton finanziert und richtet sich an die Angehörigen beider Bildungsinstitutionen. Die UZH verfügt ja über einen riesigen Pool an Expert*innen. So entstehen Austausche, von denen schlussendlich beide Seiten profitieren können.
Wie funktioniert das konkret? Und gibt es bereits erste Erfahrungen mit solchen Projekten?
Startpunkt ist die Idee einer Person, entweder von Seiten UZH oder von Seiten Mittelschule. Sie sucht sich ein*e Partner*in der jeweilig anderen Bildungsinstitution und als Team stellen sie dann dann gemeinsam einen Antrag. Man kann auch eine Idee ausschreiben, wenn es noch keine Partnerschaft gibt und so eine*n Partner*in suchen.
Besonders hervorheben möchte ich die gemeinsamen Lehr- und Lernprojekte, die wir gerade aufbauen und etablieren. In gemeinsamen Projekten wird Wissen geteilt und die Mittelschulen können dabei auch die Infrastruktur der UZH nutzen.
Gerade wurde ein Projekt der Physik der UZH zusammen mit der Fachschaft Physik bewilligt, bei dem bald ein Radioteleskop auf einem Irchel-Gebäude aufgebaut wird. So können Mittelschüler*innen erste Erfahrungen in experimenteller Physik machen, die sie sonst nicht hätten machen können.
Ich höre noch oft, dass die Leute meinen, das Angebot gäbe es nur für Naturwissenschaften, aber das ist nicht der Fall. Es richtet sich auch an andere Disziplinen. Zwar sind hier am Irchel insbesondere die Naturwissenschaften zuhause, aber für das Angebot steht natürlich die gesamte UZH als Ressource zur Verfügung. Die Filmwissenschaft zum Beispiel ist sehr engagiert mit vielen ansprechenden Projektideen.
Wir stehen noch am Anfang mit diesen gemeinsamen Projekten und es geht jetzt auch darum, diese bekannt zu machen. Das Interesse bei den Angehörigen beider Institutionen ist gross, aber so etwas braucht immer seine Zeit.
Gibt es auch ausserschulische Aktivitäten, die das Zusammenleben und das Miteinander fördern?
Ja, es werden erste Initiativen gestartet, auch ausserhalb meines Wirkungsbereichs. Es gibt eine Volleyballgruppe der KZN, zu der auch UZH-Angehörige eingeladen sind und den KZN-Lehrpersonen-Chor, der offen ist und bei dem ich auch dabei bin.
Aktuell versuchen Schüler*innen und Studierende etwas Gemeinsames auf die Beine zu stellen. Das ist noch etwas schwierig, weil das Interesse der Jugendlichen an den Studis grösser ist als umgekehrt (lacht).
Generell ist es so, dass sich viele Leute bereits kennen. Es gibt Lehrpersonen, die an der UZH oder hier am Campus Irchel studiert haben. Es gibt Studierende, die früher an die KZN gingen, es gibt Geschwister und Freund*innen, die Berührungspunkte haben. Zürich ist kleiner, als man denkt.
Wir haben nun über Gemeinsames und Vorteile gesprochen. Wo sehen Sie denn die Schwierigkeiten und trennenden Elemente bei diesem Projekt?
Eine Herausforderung sind sicherlich die kulturellen Unterschiede zwischen Hochschule und Mittelschule. Man denke an die zeitliche Aufteilung der Tage, die verlaufen überhaupt nicht gleich. Auch der Lauf des Jahres, mit Quintalen an der Schule, mit Semestern an der Uni, das sind unterschiedliche Rhythmen und Logiken.
Das ist manchmal schwierig zu koordinieren. Wann sind wo Prüfungen, wann muss man speziell Rücksicht nehmen?
Diese Unterschiede merken wir auch bei den gemeinsamen Lehr- und Lernprojekten, die Zeithorizonte sind ganz verschieden. Lehrpersonen denken in Schuljahren, an der Uni geht es vielmehr um Semester oder dann um längere Zeiträume.
Eine Herausforderung sind sicherlich die kulturellen Unterschiede zwischen Hochschule und Mittelschule. Man denke an die zeitliche Aufteilung der Tage, die verlaufen überhaupt nicht gleich. Auch der Lauf des Jahres, mit Quintalen an der Schule, mit Semestern an der Uni, das sind unterschiedliche Rhythmen und Logiken.
Schon vor dem Einzug setzten wir auf einen intensiven Austausch zwischen UZH und KZN und diesen Austausch haben wir auch nach dem Start des Schulbetriebs beibehalten. Regelmässig gibt es zu verschiedenen Themen runde Tische, an denen alle Beteiligten vertreten sind.
Auch Sporttrakte, Mensen und Pausenplätze sind getrennt. Weshalb ist das so?
Das ist hauptsächlich dem Platzmangel geschuldet. Die Mensa der UZH ist bereits jetzt sehr gut besucht und deshalb gibt es eine eigene Mensa für die Angehörigen der KZN. Der neue Sporttrakt wird zwar hauptsächlich von der KZN genutzt, die UZH bietet darin aber auch Veranstaltungen des ASVZ an. Umgekehrt nutzt die KZN die Hallen und Garderoben des ASVZ sehr intensiv und ganz generell vermischen sich die Leute immer mehr.
Es ist ja auch ein öffentlicher Campus und man darf sich frei bewegen.
Schauen wir zum Schluss gemeinsam in die Zukunft. Worauf freuen Sie sich, wenn Sie an die nächsten Jahre «Schulen am Irchel» denken?
Ich freue mich auf das Etablierte, auf das Eingelebte, wenn man weiss, was man aneinander hat. Man lernt sich jetzt kennen, das braucht seine Zeit und ist natürlich aufregend und bisweilen stressig. Ich freue mich auf die Gelassenheit und die Ruhe. Diese kehrt schon jetzt ein wenig ein und wir können uns immer mehr auf die positiven Aspekte fokussieren. Es ist bereits eine schöne Stimmung entstanden.
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Zur Person
Ava Moll ist als Koordinatorin für das Projekt «Schulen am Irchel» bei der Universität Zürich angestellt. Ihre Aufgabe ist es, alle Herausforderungen zu managen, die sich im Zusammenhang mit der Zwischennutzung am Irchel ergeben können. In dieser Rolle ist sie einerseits Ansprechperson für betriebliche Fragen, andererseits koordiniert sie gemeinsame fachliche Aktivitäten.
Als studierte Sozialanthropologin interessiert sich Ava Moll insbesondere für die Fragen des Communitybuildings und wie man ein neues Miteinander schafft.