«IT passt gut zu Alten Sprachen und umgekehrt»
Margaretha Debrunner (60) unterrichtet unter anderem Latein am Literargymnasium Rämibühl. Nach wie vor voller Energie hat sie sich nun an eine Zusatzausbildung gewagt, um zukünftig auch das neue obligatorische Fach Informatik unterrichten zu können.
1. Juli 2020
Die Zürcher Mittelschulen: Frau Debrunner, wann wurde Ihr Interesse für Informatik als wissenschaftliches Fach geweckt?
Margaretha Debrunner: Als aus einem Kurs für eine arbeitslose Altphilologin ein Masterstudium wurde: Vor rund achtzehn Jahren lebte ich in Glasgow und musste mich beruflich neu orientieren. Deshalb belegte ich einen ECDL-Computergrundlagen-Kurs und lernte nützliche Anwenderkenntnisse, aber keine theoretischen Grundlagen. Aber genau das war es, was mich zunehmend interessierte. Also besuchte ich 2002/04 am Department of Computing Science an der University of Glasgow einen Masterkurs in IT für Akademiker aus anderen Fachbereichen.
Wie gefiel Ihnen das Studium in Glasgow?
Es war ein tolles, anstrengendes Erlebnis, nochmals Studentin zu sein und hat mich als Lehrerin geduldiger gemacht. Ich bekam einen Einblick in ein anderes, formalisierendes Denken. Gerade beim Programmieren und im Modul «Computer Systems» faszinierte mich insbesondere der Bogen von einer einzelnen binären Schaltung zur unglaublich vielseitigen Entwicklung der digitalisierten Welt. Das war damals fast völliges Neuland war für mich. Ich empfand es als enormes Privileg, anfangs vierzig nochmals in eine neue Wissenschaftswelt einzutauchen und immer mehr zu sehen, wie sich meine bisherige Ausbildung als Altphilologin mit der neuen verknüpfte: Für die Masterarbeit entwickelte ich ein kleines Programm, mit dem man komplexe Satzarchitekturen z. B. bei Cicero graphisch darstellen kann.
Sehen Sie Parallelen zwischen Sprachen und Informatik?
Beides sind Kulturtechniken oder überspitzt gesagt: Ich sehe Informatik neben der Muttersprache, Fremdsprachen, Musik und Mathematik quasi als eine weitere Sprache, eine Formalisierung der Kommunikation. Ein Beispiel: Altgriechisch liest man heute lediglich, schreibt es fast nicht und spricht es auch nicht. Hauptlernziel ist Textverständnis und Interpretation. Bei Programmiersprachen verhält es sich meist umgekehrt: Man schreibt Code, den aber höchstens andere Spezialist*innen lesen; er wird nur benötigt, um mit dem Computer zu kommunizieren. Die Gemeinsamkeit: Bei beiden geht es um Codierung und Übersetzung – und damit bin ich auch wieder bei meiner Sicht auf Informatik als einer weiteren Sprache, nur dass hier nicht direkt mit Menschen, sei es toten oder lebendigen, sondern mit Computern kommuniziert wird.
Welche Bedeutung messen Sie der Informatik als zukünftiges Schulfach im Gymnasium bei und welche konkreten Herausforderungen kommen auf uns zu?
Das Fach ist grundsätzlich wichtig für die Zukunft aller Schüler*innen und das Gefäss hat viel Potenzial. Im Moment geht es unter anderem ganz konkret darum, die kantonalen Lehrpläne zu entwickeln und zu sehen, was genau die nächste Generation Primarschüler*innen schon mitbringen wird: Gemäss Lehrplan 21 sollten sie ja schon auf Vorkenntnisse aufbauen können. Das wird Zeit brauchen und neben der gegenseitigen Unterstützung zwischen den Schulen ist es wichtig, dass jede Schule das Fach Informatik sinnvoll in ihren eigenen Fächerstrauss integriert.
Wie stehen denn Informatik und Alte Sprachen zueinander?
Für mich ist klar: Informatik passt gut zu den Alten Sprachen und umgekehrt. Insbesondere ersetzt Informatik nicht Latein. Die Fächer können sich gegenseitig befruchten und ergänzen sich gut im gymnasialen Bildungshorizont: In beiden Fächern braucht man logisch-systemisches Denken und beide Fächer verlangen Präzision, aber nicht als Selbstzweck. So werden etwa sowohl das Programmieren als auch Grammatik als Mittel zum Zweck gelernt, um Information zu verarbeiten, beziehungsweise um Texte zu verstehen. Beide Fächer bieten auf verschiedene Weise Auseinandersetzung mit Teilen unserer Lebensrealität: In den Alten Sprachen vermittelt der Vergleich mit einer anderen Sprache und einer anderen Zeit Erkenntnisse über uns selbst und in der Informatik wird das oberflächlich Selbstverständliche, unsere digitalisierte Umwelt und Kommunikation, vertiefter und theoretischer verstanden.
Welche Kompetenzen sollen die Schüler*innen Ihrer Meinung nach im Fach Informatik lernen?
Nach den grundlegenden Handwerkskenntnissen im Umgang mit Computern (ICT) geht es mehr und mehr um eine Vertiefung des Verständnisses, wie Computer funktionieren und welche Rolle sie heute spielen. Man muss unterscheiden zwischen Anwender- und Konzeptkenntnis. Bei letzterem geht um das prinzipielle Verständnis, zum Beispiel darum, welche Elemente eine Programmiersprache hat und warum dies so ist. In der Ausbildung zur Informatiklehrerin ist das Anliegen zudem sehr präsent, die Schüler*innen in «computational thinking» zu fördern. Das heisst, es geht grundsätzlich um eine Denkweise: ein Bewusstsein der Möglichkeiten und Grenzen von Computern, das «Umformulieren» einer Frage in eine Form, die ein Computer verstehen kann und unterscheiden zu lernen zwischen solchen grundsätzlich lösbaren Fragen und anderen. Für mich ist auch allgemeines Medienbewusstsein eine Kompetenz, die im Informatikunterricht gefördert werden sollte.
Wie unterscheidet sich die Art zu unterrichten bei Informatik und bei Alten Sprachen?
Ich sehe mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Der Lernprozess ist eine soziale und eine emotionale Sache. Es braucht Menschen und es braucht den Austausch; es ist viel Beziehungsarbeit. Ein Satz, der sich mir eingeprägt hat: «Langfristig sitzen die Armen vor dem Computer und die Reichen werden sich Lehrer*innen leisten können.» Gerade in der Informatik finde ich es sehr schön und wichtig, dass ich als Lehrperson ebenso von den Schüler*innen lernen kann wie sie von mir. Sie sind Digital Natives und im Austausch mit mir und mit den Mitschüler*innen lernen sie, ihr eigenes Wissen zu reflektieren und es somit zu vertiefen. Das steht im Einklang mit den Anforderungen des Lehrplans 21 und dessen Fokus auf Selbsteinschätzung der Schüler*innen.
Wo stehen Sie zurzeit in der Ausbildung als Informatiklehrerin?
Ich habe den theoretischen Teil, den Fachdidaktikkurs an der Uni Zürich bei Paul Miotti, abgeschlossen. Ich hatte zudem das grosse Vergnügen und das Privileg, meine Übungslektionen bei meinen Kolleg*innen am Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium Rämibühl halten zu können. Diesen Herbst werde ich ein etwas längeres Praktikum absolvieren und eine Prüfungslektion abhalten müssen. Damit wird meine Ausbildung abgeschlossen sein.
Wie haben Sie die Weiterbildung bisher erlebt und wie geht es weiter?
Es ist sehr bereichernd, auch mit 60 Jahren noch Neues zu lernen und meine Fächerpalette zu erweitern. Ich bin dankbar, dass ich dabei vom Kanton in Form von Entlastung unterstützt werde . An dieser Stelle möchte ich auch einen grossen Dank an die Schulleitung des Literargymnasiums aussprechen, die mich in diesem Unterfangen voll unterstützt und mir auf das nächste Schuljahr den Fachschaftsvorstand Informatik anvertraut hat. Ich unterrichte sehr gerne und freue mich darauf, noch ein paar Jahre meinen Schüler*innen nicht nur den Horizont in die Vergangenheit erweitern zu können, sondern sie noch ein Stückchen auf dem Weg in ihre (digitale) Zukunft zu begleiten, vielleicht sogar mit den gleichen jungen Menschen Griechisch und Informatik zu machen. Zukunft braucht Herkunft, aber Herkunft auch Zukunft.
Zur Person
Dr. Margaretha Debrunner unterrichtet seit vierzehn Jahren Latein am Literargymnasium Rämibühl, im IB-Programm Latein auf Englisch und den Theory of Knowledge Kurs sowie wenn immer möglich Griechisch. Am Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium Rämibühl führt sie immer wieder Freifachkurse bis zur Matura und unterrichtet Latein in der Unterstufe des K+S Gymnasium. Daneben engagiert sie sich seit zehn Jahren in ihrem Freifachkurs «Rhetorik und politische Bildung» und dem Europäischen Jugendparlament (EYP). Für diese vielseitige Arbeit nimmt sie das Pendeln von Basel nach Zürich gerne in Kauf.