Mittelschüler*innen realisieren Hilfsprojekte in Albanien und Malawi
Die Zürcher Entwicklungsorganisation IPA arbeitet eng mit Mittelschulen zusammen. Für die Schüler*innen ist das eine einmalige Gelegenheit, Entwicklungszusammenarbeit in Theorie und Praxis kennenzulernen. Das ermöglicht eine steile Lernkurve, macht stolz und kann sogar die berufliche Laufbahn nachhaltig prägen.
12. Februar 2021
Kolja Lehmann ist erschüttert: Er hätte sich nicht vorstellen können, im nahen Albanien so viel Armut zu sehen. Zusammen mit fünf weiteren Mittelschüler*innen und einer Lehrerin aus der Schweiz besucht der 17-Jährige eine Schule in Albanien – sie ist in einem desolaten Zustand. Es ist Herbst 2019, und die Gruppe ist hier, um ein Hilfsprojekt zu finden, das sie in den nächsten Monaten unterstützen kann.
Etwa zwanzig Jahre zuvor ist ein anderer Mittelschüler im selben Land unterwegs. Denis Hofer bringt gemeinsam mit einigen Schüler*innen und Lehrpersonen der Kantonsschulen Wiedikon und Enge humanitäre Güter nach Albanien. Essen, Hygieneartikel – es fehlt an allem im armen Balkanland.
Aus einer «Päckli-Aktion» wird eine professionelle Hilfsorganisation
Denis Hofer und Kolja Lehmann kennen sich nicht. Was sie ausser der Reise nach Albanien verbindet, ist eine Zürcher Organisation für Entwicklungszusammenarbeit namens «IPA». «IPA» steht für International Project Aid.
Gegründet wurde IPA 1994 als «Solidaritätsgruppe Partner für Gjirokastër», etwas später wurde sie zum Verein «Partner für Gjirokastër», kurz PfG (Gjirokastër ist eine Stadt in Albanien). 2001 wurde aus PfG die Hilfsorganisation IPA. In den ersten Jahren nach der Gründung engagierten sich Schüler*innen und Lehrpersonen der Kantonsschule Enge, später beteiligten sich auch Angehörige der Kantonsschule Wiedikon. Einer von ihnen war Denis Hofer.
IPA integriert Jugendliche in die Entwicklungszusammenarbeit
Was IPA von anderen, ähnlichen Organisationen unterscheidet, ist ihr Fokus auf die Zusammenarbeit mit Schulen in der Schweiz, insbesondere Mittelschulen. Nicole Delavy und Pietro Tomasini leiten IPA und sind als Lehrpersonen an einer Mittelschule tätig. Unterstützt von den IPA-Mitarbeitenden können Mittelschüler*innen in drei Bereichen bei IPA aktiv werden:
- Im Juniorenteam arbeiten Schüler*innen aus verschiedenen Stadtzürcher Mittelschulen während eineinhalb Jahren zusammen. Sie reisen mit Nicole Delavy nach Albanien, wählen ein Hilfsprojekt aus und kümmern sich dann von der Schweiz aus um Aufgaben wie Budget, Projektbeschrieb, Fundraising, Abschlussbericht etc.
- Im Projektunterricht unterstützt eine ganze Schulklasse während eines halben Jahres ein Hilfsprojekt. Die Jugendlichen reisen zwar nicht ins Projektland, arbeiten aber nicht minder intensiv an «ihrem» Projekt und sind für Auswahl, Budget, Fundraising usw. verantwortlich.
- Die Umwelteinsätze von IPA werden jeweils im Sommer durchgeführt. Fünf Tage lang arbeiten die Jugendlichen in den Schweizer Bergen und sammeln gleichzeitig in ihrem Umfeld Geld für ein IPA-Projekt im Ausland.
«Mir wurde bewusst, wieviel Glück wir in der Schweiz haben»
Kolja Lehmann war 2019 und 2020 Mitglied im Juniorenteam. Heute ist er 18 und steht kurz vor der Matur. Am RG Rämibühl absolviert er das «International Baccalaureate (IB)», dazu gehört auch, einen Sozialeinsatz zu machen. Verschiedene Organisationen hätten an der Schule ihre Projekte und Aktivitäten vorgestellt, erzählt er, darunter auch IPA. Deren Präsentation habe ihn von Anfang an überzeugt. Kolja bewarb sich für das Juniorenteam und wurde angenommen.
«Ich wusste nicht, was auf mich zukommt», blickt er auf den Start des 18-monatigen Programms zurück. Schnell aber war er voll drin im Thema. Nach der Reise nach Albanien entschieden sich die Jugendlichen für ein Projekt und schmiedeten fleissig Pläne für die Finanzierung. Kolja sprach den Pfarrer seines Wohnorts an und bat darum, die nächste Kollekte für IPA einzusetzen. Der Pfarrer willigte ein, und voller Elan planten Kolja und seine Mitstreiter*innen weiter: ein Charity-Konzert im Sphères sollte weitere Spenden einbringen.
Doch dann machte ihnen der Coronavirus einen Strich durch die Rechnung. Gottesdienste wurden abgesagt, Konzerte fanden nicht statt, die Menschen mussten im Frühling 2020 zuhause bleiben. Keine der Ideen des Juniorenteams konnte umgesetzt werden.
Und doch gelang es den Jugendlichen, mehr Geld für ihr Projekt zu sammeln, als sie eigentlich benötigten. «Ich habe meinen Lohn als Skilehrer gespendet», erinnert sich Kolja lachend und erzählt, dass sie verschiedene Stiftungen für das Projekt gewinnen konnten. Die Schule in Albanien wurde mit dem gesammelten Geld saniert, eine Sanitätsstation renoviert und zusätzlich konnte medizinisches Equipment für einen Spital besorgt werden.
Kolja Lehmann ist stolz und betont, dass er unglaublich viel gelernt habe im Juniorenteam. Über Teamarbeit, Zeitmanagement und Entwicklungszusammenarbeit, aber auch, an sich selbst zu glauben.
«Auch als junger Mensch kann man ein Ziel erreichen und etwas bewirken»
Auch Melina Ammann hat sich im Zuge ihrer Ausbildung an der Kantonsschule Enge für ein Angebot von IPA entschieden. Sie nahm am Projektunterricht «Entwicklungszusammenarbeit in der Praxis» bei Geschichtslehrer Pietro Tomasini teil. «Ich wollte etwas Nützliches machen, etwas bewirken», begründet sie ihren Entscheid. Gemeinsam musste die Klasse in den ersten Wochen des Unterrichts entscheiden, welches Projekt sie unterstützen möchte. Keine leichte Aufgabe für die Jugendlichen.
Eine Schule in Malawi bekam den Zuschlag und die Schüler*innen kümmerten sich auch in diesem Fall um alles, was es für ein solches Projekt braucht. Jeden Mittwoch hatten sie Unterricht, teilweise erhielten sie Inputs von Pietro Tomasini, dann wieder arbeiteten sie in Gruppen oder alleine. Sie organisierten Events für das Fundraising, schrieben ein «Project Proposal» für die Spender*innen, erstellten ein Budget.
Melina staunt: «Es steckt so viel Arbeit in so einem Projekt.» Zusammen mit einem Mitschüler hielt sie die Präsentation bei einem Serviceclub, ein aufregender und lehrreicher Moment für die junge Frau.
Auch Melina betont, dass sie mit null Wissen in den Kurs startete und dann eine steile Lernkurve hatte. «Wir waren ehrgeizig und wollten unbedingt unser Ziel erreichen», erzählt sie. Und sie haben es geschafft: Das Schulgebäude in Malawi konnte ausgebaut werden, es entstand ein Brunnen, Häuser für die Lehrpersonen, ein Weiterbildungsprogramm und mehr.
Es sei eindrücklich gewesen, wie fest die Menschen in Malawi nach Bildung lechzen, sagt Melina. Dass sie mit ihrer Arbeit eine Veränderung habe bewirken können, macht die junge Frau stolz. Und es sei ihr auch wieder bewusst geworden, welches Privileg sie habe, diesen Zugang zu Bildung zu haben.
«Die Arbeit bei PfG und IPA hatte einen grossen Einfluss auf meine berufliche Laufbahn»
Diese Learnings liegen für Denis Hofer schon einige Jahre zurück – und trotzdem sind sie nach wie vor wichtig für ihn. Denn die Einsätze für PfG und IPA ebneten den Weg für seine berufliche Laufbahn. Nach seinem Engagement für PfG während des Gymis arbeitete er während und nach dem Studium als Projektmitarbeiter bei IPA.
Dort leitete er gemeinsam mit Nicole Delavy das Juniorenteam, betreute mit Pietro Tomasini einen Projektkurs am Gymnasium in Wohlen und begleitete zahlreiche Hilfsprojekte. Er habe praktisch alles mal ausprobieren können und sich viel Wissen in der Entwicklungszusammenarbeit aneignen können, erinnert er sich der 39-Jährige.
Während IPA anfangs vor allem in Albanien engagiert war, kamen spätere andere Projektländer hinzu, u. a. Kamerun in Westafrika. «Ich lernte durch IPA eine neue Weltregion kennen», sagt Denis heute. Eine Region, die ihn bis heute beschäftigt: Seit mehreren Jahren ist er bei der CBM Schweiz als Programmkoordinator und Berater tätig und dort für Burkina Faso verantwortlich.
Lernen fürs Leben, nicht für die Schule
Die drei «IPA-Veteranen» konnten durch die Arbeit mit IPA wertvolle Erfahrungen sammeln. Das Beispiel von Denis Hofer zeigt eindrücklich, wie ein solches Engagement am Gymnasium noch lange nachhallen und die Berufswahl beeinflussen kann.
Wie ihre berufliche Zukunft aussehen wird, wissen Kolja Lehmann und Melina Ammann noch nicht. Erst einmal geht es darum, die Maturaprüfungen zu bewältigen. Danach will Melina Jura studieren und sich auf Menschenrechte spezialisieren, und Kolja strebt ein Medizinstudium an.