Möglichkeitsräume – ein Rundgang durch den KWI-Standort Hohlstrasse
Im August 2024 öffnete der Standort Hohlstrasse beim Hardplatz als Filiale der Kantonsschule Wiedikon seine Türen. Damit ist die KWI neu auch im Kreis 4 zuhause. Wir wurden zu einer besonderen Roomtour eingeladen.
20. Dezember 2024
«Die Kanti Wiedikon geht fremd» titelten wir vor zwei Jahren. Denn der Plan stand schon damals fest: Die Kantonsschule Wiedikon sollte im Kreis 4 einen zweiten Standort erhalten und sich aus ihrem traditionellen Zuhause im Kreis 3 wegbewegen. Nun ist es soweit: der Standort Hohlstrasse wurde eröffnet.
Für Urs Allenspach, Rektor der KWI, und Nicole Brockhaus, Prorektorin der KWI und Standortleiterin an der Hohlstrasse, fühlt sich der Standort Hohlstrasse jedoch nicht nach einem Weggehen an. Es sei vielmehr ein Ankommen in einem erweiterten Zuhause, sind sich die beiden einig: «Die Hohlstrasse ist einfach eine andere Form von Wiedikon».
Damit sich das so anfühlt, investierte die Schule viel: Der Umzug war von langer Hand und sorgfältig geplant, der Einzug wurde mit verschiedenen Events gebührend gefeiert. Schüler*innen und Lehrpersonen hätten sich von Anfang wohlgefühlt, hier «unten» an der Hohlstrasse. Auch jene, die nicht permanent hier seien, sondern von «oben» her hierher pendeln. «Es ist schnell zu unserem Ort geworden», sagt Brockhaus.
Nomaden und Siedler, oben und unten
«Oben» am Goldbrunnenplatz, «unten» an der Hohlstrasse. Diese Ortsangaben haben sich bereits etabliert an der KWI. Örtlichkeit ist wichtig, wenn man vom Standort Hohlstrasse spricht – Lage und Räume beeinflussen den Charakter des Standorts sehr.
Wie an allen Mittelschulen gehen auch an der Hohlstrasse Jugendliche ein und aus. Speziell an ihnen ist, dass sie sich in sogenannte Siedler- und Nomadenklassen einteilen lassen. Die Siedlerklassen sind jene Jugendliche, die fix am neuen Standort zur Schule gehen. Sie besuchen das neue Profil PPP (Philosophie, Pädagogik, Psychologie) oder die FMS (Fachmittelschule). Als Nomadenklassen werden jene Klassen bezeichnet, die zwischen den beiden Standorten pendeln. Zehn sind es aktuell und über die Jahre werden sie weniger werden. Bis der Standort nur noch von Siedlerklassen getragen wird.
«Wir könnten hier unten noch etwas bevölkern und oben entlasten», sagt Urs Allenspach. Der Standort am Goldbrunnenplatz platzt aus allen Nähten, an der Hohlstrasse hat man Platz en masse. Man müsse aber abwägen, wie viel Pendelzeit man den Jugendlichen und den Lehrpersonen zumuten wolle.
Das Quartier: eine Mittelschule im Arbeiterquartier
Im Westen von Zürich tat sich mittelschultechnisch lange nichts. Dass sich das ändern solle, darüber sprach man schon lange, nun ist es soweit: Mit dem Standort Hohlstrasse bekommt das Arbeiterquartier Hard eine Mittelschule.
Für Urs Allenspach ist es an der Zeit, dass sich die Mittelschulen besser über die Stadt verteilen. Die Kanti im Kreis 4 kommt den Jugendlichen aus dem Quartier so buchstäblich näher, ist er überzeugt.
Und gleichzeitig sei es auch hier Wiedikon. Der neue Standort ist nicht eine neue Schule, auch wenn das das Fernziel ist. Momentan, so betonen Allenspach und Brockhaus, sei die Hohlstrasse ein Teil der KWI und fest mit ihr verbunden.
Blickt man am Standort Hohlstrasse aus dem Fenster, so sieht man vor allem eine urbane Welt. Hier der Prime Tower, dort der neu gestrichene Kamin der Energiezentrale, da der riesige Kasten namens PJZ. Und dazwischen rasen die Züge hindurch.
Die Gebäude: ein Provisorium das sich erstaunlich dauerhaft anfühlt
Von den Zügen hört man im Schulgebäude jedoch nichts. Die Fenster sind so gut isoliert, dass jeglicher Lärm draussen bleibt. Überhaupt fühlen sich die Holzmodule gar nicht so an, wie man es auf den ersten Blick von aussen vermuten würde. Im noch unfertigen Areal stehen die drei an Container erinnernden Gebäude im krassen Gegensatz zum hypersoliden Bau des Polizei- und Justizdepartements. Drinnen wähnt man sich in einem «echten» Haus, es ist nicht nur schallisoliert, sondern auch gemütlich warm.
Die Wände in den Gängen sind mit riesigen historischen Bildern der Gegend tapeziert, dazwischen Pinnwände mit Medienberichten, Fotos, ersten Erinnerungen. Im Sporttrakt sind die Wände aus Holz gefertigt, im Gebäude, wo die Musikzimmer und Labors liegen, sind sie unverputzt. «New Roughness» nenne sich dieser Stil, erklärt Nicole Brockhaus. Und fügt gleich dessen Motto an: Mit dem Unvollkommenen leben wollen.
Ein Motto, das gut zum Spirit der KWI und zur Hohlstrasse passt. «Wir sind nicht in etwas angekommen, was seit hundert Jahren besteht. Wo alles geregelt ist. Es ist ein Raum, den wir selber prägen können.», sagt Nicole Brockhaus. Und Urs Allenspach fügt an: «Der Standort darf sich eigenständig entwickeln. Es sieht hier anders aus und auch kulturell darf etwas Eigenes entstehen. Aber immer im Wertesystem der KWI.»
Der Aussenraum: es darf entstehen, wachsen, gedeihen
Wachsen und entstehen darf auch der Aussenraum. Zwischen den drei Schulgebäuden macht das Arbeiterquartier seinem Namen zumindest heute alle Ehre: Es wird geschuftet. Bäume pflanzen, Sträucher platzieren, Leben einhauchen.
Neben dem Sportplatz entstehen verschiedene Aufenthaltszonen mit Sitzgelegenheiten und Schattenplätzen. Im Frühling soll es hier üppig blühen, in allen Farben.
Aktuell aber wird hier weihnachtliche Stimmung geschaffen. Aus Lautsprechern ertönt «Last Christmas» und angeführt von Nicole Brockhaus hängen Schüler*innen und Lehrpersonen im Rahmen der ersten «Schmückete» kleine Dekogegenstände an eine Lichterkette. Die Hohlstrasse schafft Rituale. Dass dabei vor allem Lehrpersonen anwesend sind, stört die energiegeladene Standortleiterin nicht.
Auch die Gemeinschaft darf erst noch wachsen und gedeihen.
Die Toiletten: in allen Farben des Regenbogens
Die Farben der zukünftigen Blüten kann man schon heute bewundern. Sie zieren die Wände der Toiletten – jeder Raum hat eine andere, bunte Wandfarbe. Auch die Beschriftungen an den Türen stechen ins Auge. XX, XY, ü21 steht da. An der Hohlstrasse gibt es stille Örtchen für biologische und soziale Geschlechter, für Besucher*innen, Lehrpersonen, Mitarbeitende.
Die Räume der Schüler*innen: Simpa, Tano, Flüster
Ein Stock weiter oben leuchtet die Sonne in ein Zimmer. Vier junge Frauen lümmeln auf Sitzsäcken und starren ins Handy. «Hey, handyfreie Zone!», ruft Nicole Brockhaus ihnen zu und folgsam legen die Jugendlichen die Smartphones weg.
«Dieses Zimmer heisst Simpa und es gehört den Schüler*innen», sagt Nicole Brockhaus. Hier sind nicht nur Handys, sondern auch Laptops und jegliche andere Arbeitsutensilien verboten. Simpa dient der Zerstreuung, dem Chillen, dem Abschalten.
Damit das gelingt, stehen den Jugendlichen alternative Arbeitsmaterialien zur Verfügung: Lego, Wolle, Knete.
Es sei ein Raum, in dem man nicht den Kopf gebrauchen solle, sondern die Hände, betont Nicole Brockhaus und zeigt auf das Ergebnis dieser Idee: eine Stadt aus Lego.
Was «Simpa» bedeutet? Das muss man für sich selber entscheiden, es ist ein Fantasiename, der Raum für eigene Bedeutungen bietet. Das gilt auch für «Tano», den zweiten Raum der Schüler*innen. Ein Arbeitszimmer, das sich speziell für Gruppenarbeiten und gemeinsames Lernen eignet. Das dritte Schüler*innenzimmer heisst «Flüster» und wird für stilles Arbeiten genutzt. Nomen est omen.
Die Räume der Lehrpersonen: Beautiful Mind, Modern World, Monde Latin, Diskurs
Die Vorbereitungszimmer der Fachschaften hingegen haben passend gewählte Namen: Beautiful Mind für Informatik und Mathe, Monde Latin für die romanischen Sprachen, Modern World für Englisch, Psychologie, Geografie und Wirtschaft, Diskurs für Philosophie, Deutsch, Latein und Geschichte.
Sie wurden (und werden) von den jeweiligen Fachschaften eingerichtet und betreut, stehen aber allen Lehrpersonen offen.
Ein Raum für alle: das Forum ersetzt die Mensa
Im Forum wird aufgetischt: Wie jeden letzten Freitag im Monat findet heute die «Teilete» statt. Schüler*innen und Lehrpersonen bringen etwas Leckeres zum Essen mit, daraus entsteht ein Buffet, an dem sich alle bedienen dürfen.
Auch an anderen Tagen geht es im Forum vor allem ums Kulinarische: In der Ecke steht eine Vending Machine mit verschiedenen Gerichten, es gibt verschiedene Tische, um Gekauftes und Mitgebrachtes zu verspeisen, in der Küche gibt es Mikrowellen, Kühlschränke und Besteck à gogo.
Die Schüler*innen hätten aus Nachhaltigkeitsgründen auf «echtes» Besteck bestanden, erzählt Nicole Brockhaus. Die Schulleitung pilgerte in die IKEA und erstand Löffel, Gabel, Messer und gaben allen Schulangehörigen den Auftrag, immer schön den Geschirrspüler einzuräumen. Was hervorragend klappt.
Heute eine Filiale, irgendwann eine neue Kantonsschule
Geschätzte zwei bis vier Jahre wird der Standort Hohlstrasse als Filiale der KWI geführt. Danach wird er in die neue Kantonsschule Aussersihl überführt, die Holzmodulbauten werden später einem «echten» Haus weichen. Dann werden nur noch Siedlerklassen hier zur Schule gehen und die heute pendelnden Lehrpersonen müssen sich entscheiden: Wiedikon oder Aussersihl.
Bis es soweit ist, werden die Räume an der Hohlstrasse mit Leben, Wissen, Ritualen und Erinnerungen gefüllt. Es wird Lego gebaut, Essen geteilt, mit Blick auf den Prime Tower philosophiert und natürlich gelernt. Zuhause in der Hard, zuhause an der KWI.
echt clever – Ausstellung ausgezeichneter Maturitätsarbeiten 2025
2025 findet die Ausstellung ausgezeichneter Maturitätsarbeiten vom 12. Mai bis 8. Juni statt – am neuen Standort Hohlstrasse der Kantonsschule Wiedikon. Unter dem Motto «echt clever» werden rund 60 Maturitätsarbeiten ausgestellt. Am 23. Mai findet der Prämierungsanlass statt, an dem fünf Sonderpreise und der Publikumspreis verliehen werden.
Die Ausstellung startet am 12. Mai mit einer Vernissage mit Foodtruck, zu der alle Angehörigen der Mittelschulen (Lehrpersonen, Schüler*innen, Eltern) eingeladen sind. Um 17 Uhr findet für Lehrpersonen eine Architekturführung durch den neuen Standort statt, wir bitten um Anmeldung.