Reportage-Tag KBW: Schüler*innen lernen, im kalten Wasser zu schwimmen
Zum dritten Mal findet der Reportage-Tag an der Kantonsschule Büelrain in Winterthur statt. Die Drittklässler*innen lernen von erfahrenen Medienschaffenden, wie eine Reportage entsteht, wo Herausforderungen warten – und machen sich gleich selber ans Werk.
2. Oktober 2020
Lars und Marco sind ratlos. Was bitte soll hier am Bahnhof Winterthur Aufregendes passieren? Die beiden Mittelschüler werfen einen letzten Blick auf den Bahnhofsplatz und trotten dann hinüber zum Einkaufszentrum Neuwiesen auf der anderen Seite der Gleise.
In der Unterführung riecht es nach Urin, aber das ist nichts Aussergewöhnliches. Im Einkaufszentrum angekommen, setzen sich Lars und Marco auf eine Bank und warten auf die zündende Idee. Ihnen bleiben noch zehn Minuten.
Medienschaffende besuchen die Mittelschule
Drei Stunden vorher, in der Aula der Kantonsschule Büelrain in Winterthur (KBW). Ein Schüler hebt die Hand. «Wie fühlen Sie sich als Verantwortliche für die vierte Gewalt im Staat?», will er wissen. Tobias Ochsenbein und Janique Weder wechseln einen leicht irritierten Blick und lachen. «Eine grosse Frage», meint Janique Weder und überlegt. Sie denke nicht täglich an diese Verantwortung, antwortet die junge Ostschweizerin dann, aber sie versuche natürlich, ihren Job nach bestem Wissen und Gewissen zu machen.
Janique Weder und Tobias Ochsenbein arbeiten als Journalistin respektive Journalist im Newsroom der NZZ. Ihr Referat bildet den Auftakt des Reportage-Tags an der KBW.
Zum dritten Mal wird dieser im Rahmen des sogenannten «selbstorganisierten Lernens» durchgeführt. Begleitet von den Lehrpersonen des Fachs Deutsch befassen sich die Schüler*innen der dritten Klassen ein Semester lang mit Reportagen. Seit Anfang Semester befassen sie sich im Deutschunterricht mit der journalistischen Textsorte. Nach dem heutigen Tag entscheiden sie sich für ein Thema und schreiben danach ihre eigene Reportage. Die Deadline ist im Dezember.
Wenig Adjektive und viel Action
Am Reportage-Tag vertiefen die Schüler*innen ihr Wissen und erfahren von Journalistinnen und Journalisten, was es für eine gelungene Reportage braucht.
Katrin Oller ist Redakteurin beim Landboten und gibt in einem der zwölf Workshops Einblick in ihre Arbeit. Acht Schüler und eine Schülerin sitzen an den Tischen, Lars und Marco haben in der ersten Reihe Platz genommen. Kurz fasst Katrin Oller zusammen, worauf es bei der Reportage ankommt – geht raus, sprecht mit Menschen, beschreibt, aber verwendet nicht zu viele Adjektive –, dann wirft sie die Schüler*innen ins kalte Wasser. Die Jugendlichen sollen ein Thema für eine Reportage finden und darüber einen kurzen Text schreiben.
«Ich schicke die Jugendlichen raus auf die Strasse, weil sie so am meisten lernen», erklärt Katrin Oller später. «Dann tauchen ganz viele Fragen auf, sie merken, dass es Überwindung kostet, wildfremde Menschen anzusprechen.»
Während Lars, Marco und die anderen aus Katrin Ollers Workshop auf Themensuche sind, ist in den Gängen vor der Aula Action angesagt. Ein Schäferhund der Polizei rennt auf einen Mann zu, springt an ihm hoch und verbeisst sich in seinem Arm. «Aus!», ruft ein Polizist und das Tier lässt los.
Was aussieht wie eine Verbrecherjagd, ist ebenfalls Teil des Reportage-Tags. Ein Dutzend Schüler*innen richten ihre Handykameras auf das Geschehen, einige machen Notizen. Workshop-Leiterin Janine Jakob gibt ihnen Anweisungen und Tipps. Die Jugendlichen merken, wie herausfordernd die Recherche für eine Reportage sein kann. Es gilt, zu beobachten, Fotos zu schiessen, sich Notizen zu machen und Informationen aus den Protagonisten herauszukitzeln.
Die zündende Idee gefunden
Niki und Hugo sind auf der Jagd nach Tönen. Sie nehmen am Workshop von Silvia Mathis und Florian Sieber von Radio Stadtfilter teil und sollen heute einen Radiobeitrag erstellen. «Es macht Spass», sagen die jungen Männer knapp. Dann müssen sie weiter – Töne einfangen.
Es werde zeitlich nicht reichen, einen gesamten Beitrag zu erstellen, meint Workshop-Leiterin Silvia Mathis, aber die Jugendlichen könnten sehen, was es alles dafür brauche. Sie lernen, was eine Tonspur ist, erhalten Einblick in ein Schnittprogramm und müssen sich überlegen, welche Themen für das Medium interessant sind. «Die Schüler*innen haben schnell erfasst, um was es geht», freut sich die Radiofrau.
Zurück im Schulzimmer bei Katrin Oller und ihren Schützlingen. Marco räuspert sich und liest dann seinen Text vor. Er und Lars haben sich nach langem Hin und Her dafür entschieden, über ein Geschäft mit veganen Lebensmitteln zu berichten, das kürzlich schliessen musste. Katrin Oller fragt die anderen Teilnehmenden, wie ihnen der Text gefalle und was fehle. Dann gibt sie Marco Tipps, was er besser machen könnte, lobt, was gut gelungen ist. Dieses Spiel wiederholt sich noch achtmal, dann entlässt die Journalistin die Schüler*innen.
Mehr Theorie als Praxis – oder umgekehrt
«Ich habe viel gelernt», resümiert Mara nach dem Workshop, «hätte mir aber noch mehr Infos zur Aufgabenstellung gewünscht.» Trotzdem ist sie sich sicher, dass ihr das heute Gelernte beim Schreiben der eigenen Reportage helfen wird. Anica und Jael haben einen anderen Workshop besucht und ziehen ein leicht anderes Fazit: Ihnen war der Tag zu theorielastig und sie waren etwas neidisch auf die Praxis-Action mit den Polizeihunden. Und trotzdem betonen auch sie, dass es lehrreich war.
Der Reportage-Tag endet dort, wo er begonnen hat: In der Aula. Kurz lassen die Schüler*innen den Tag Revue passieren, berichten von ihren Erkenntnissen und strömen dann hinaus in die Nachmittagssonne.
Diese strahlt vom stahlblauen Himmel, es ist knapp 20 Grad warm. Dezember und die Abgabe der Reportage liegen noch in weiter Ferne.